Aktuell befinden wir uns mitten in einem Hype um Superhelden, ausgelöst durch Verfilmungen, die einen Rekord nach dem anderen brechen. Angefangen mit Spider-Man, kriegen wir teilweise monatlich neue Kost von Marvel und DC auf der großen Leinwand geliefert. Als großer Comic-Fan freut es mich natürlich, dass plötzlich so viele Menschen einen Zugang zu diesem Medium gefunden haben und die Storys nicht mehr als Kinderkram abgetan werden (Spawn und Deadpool würde ich keinem Grundschüler in die Hand drücken). Aber wie nach jedem Aufstieg wird es irgendwann einen Absturz geben. Man kann davon ausgehen, dass der Markt irgendwann übersättigt wird und damit vermutlich auch die Leserschaft der bunten Hefte zurück geht.
Der letzte Boom, den ich aufgrund meines Alters leider nicht aktiv mitbekommen habe, war Anfang der 90er, nachdem Autoren wie Frank Miller und Alan Moore in den Jahren zuvor gänzlich neue Zielgruppen erschlossen haben, die mehr Dunkelheit und Härte wollten. Damit wurde eine Ära eingeläutet, die mit Konventionen brach und damit den Weg für Künstler und Schreiber ebnete, die ganz dem neuen Zeitgeist entsprachen.
Dazu gehörte eine ganze Riege an Kreativen aus dem Marvel-Lager wie der legendäre Jim Lee. Diesem wurde kurze Zeit nach seinem Einstieg in das Unternehmen die prestigeträchtige Serie „Uncanny X-Men“ anvertraut. Kurz darauf legte er auch Hand an den heute zu besprechenden Titel „X-Men“ (1991). Das erste Heft schaffte es sogar in das Guinness Buch der Rekorde als der meistverkaufte Comic aller Zeiten. Neben dem Artwork war natürlich auch die Story-Komponente entscheidend für den anhaltenden Erfolg der Reihe. Chris Claremont, schon 1969 als Laufbursche im Verlag eingestiegen, erarbeitete sich den Weg an die Spitze mit Einfällen für die Mutanten-Welt, die heute noch nachhallen und mit dem Look von Lee das Bild der X-Men erschaffen haben, welches schließlich in der 90er-Jahre TV-Serie mündete.
Nach einiger Zeit beanspruchte Lee jedoch mehr Mitspracherecht, änderte Skripte eigenmächtig ab und initiierte damit einen Disput, der zunächst den Abgang von Claremont zur Folge hatte. Nur Monate später ging auch der Zeichner, um mit anderen den Image-Verlag zu gründen, der ihnen Rechte an den eigenen Kreationen gab und am Teil des Booms profitieren ließ.
Die Zusammenarbeit der zwei Männer bleibt bis dato ein Meilenstein, der glücklicherweise von Panini Comics Deutschland neu aufgelegt wurde. „X-Men: Ein neuer Anfang“ beinhaltet die ersten sieben Hefte, die einen überspannenden Zusammenhang aufweisen und darum als ganze Geschichte gelesen werden können. In dieser macht sich eine Gruppe von Mutanten mit einem Raumschiff auf die Suche nach Magneto, der in seinem Asteroid M die Erde umkreist, um sein selbst auferlegtes Exil zu fristen. Als er von der Gruppe entdeckt wird, bietet diese ihm ihre Dienste an. Der Anführer Fabian Cortez erklärt des Weiteren, dass die Station angeblich entdeckt wurde. Um sich zu schützen, begibt sich Magneto daraufhin zur Erde um einige Atomraketen zu bergen, die im Notfall zur Verteidigung eingesetzt werden sollen. Dabei kommt es zum Kampf mit den X-Men, während dem einer der Sprengköpfe über Russland detoniert. Daraufhin zieht sich Magneto mit den verbliebenen Raketen auf seine Basis zurück, während auf der Erde ein Plan zum Einsatz kommt, der die Vernichtung des Asteroiden-Heims des Mutanten zum Ziel hat. Zeitgleich überzeugt Cortez Magneto davon, dass dessen DNA durch Moira McTaggert verändert wurde. Als Reaktion entführt er die Frau und Professor X um sie zu zwingen die X-Men zu manipulieren und für ihn kämpfen zu lassen. Doch als es zum Showdown kommt, ergibt sich eine überraschende Wendung der Ereignisse…
Was diese Geschichte anbelangt, bin ich relativ zwiegespalten. Einerseits sieht man den Panels eindeutig an, warum Jim Lee zur modernen Speerspitze der Comic-Künstler unserer Zeit avanciert ist und gelegentlich eingestreute Verweise auf ernste Ereignisse der Realität (z.B. der Holocaust, Rassismus usw.) sind eindeutig an ein älteres Publikum gerichtet. Trotzdem wirkt es alles mit einem zeitlichen Abstand von 25 Jahren etwas altbacken. Nachdem ich als Leser an Geschichten heran geführt wurde, die episch über einen Zeitraum von einem Jahr ausgebreitet werden können oder an visuelle Meisterwerke, die in Sachen Dramaturgie großen Film-Events in nichts nachstehen, fremdle ich ein bisschen mit dem vorliegenden Band. Ich gehe davon aus, dass es wie in jedem Bereich eine Entwicklung gab, die zum damaligen Release übergreifend nicht abgeschlossen war. Das beziehe ich jedoch ausschließlich auf fortlaufenden Reihen und nicht auf komplette Storys, auf die ja auch noch heute gern verwiesen wird (V wie Vendetta, Watchmen, The Dark Knight Returns usw.). Sprechblasen wurden scheinbar wahllos gestaltet, was wiederum Satzbrüche zur Folge hatte, die keinen wirklichen Sinn ergeben. Natürlich kann es ein Problem der Übersetzung sein, funktioniert im Vergleich jedoch in der Gegenwart tadellos. Außerdem finden wir die typischen Dialoge, die mitten im Kampfgeschehen geführt werden, obwohl einer der Charaktere zum Beispiel gerade eins übergebraten bekommen hat. Hinzu kommt die schon angesprochene Geschwindigkeit, bei der man als Leser das Geschehen kaum verarbeiten kann.
Das klingt im ersten Moment hart, ist aber ein übergreifendes Phänomen der damaligen Ära. Im Klartext bedeutet es, dass meine Generation etwas verwöhnt ist! 😉 Aus nostalgischer und historischer Sicht, ist es jedoch eine lohnenswerte Anschaffung. Man wird durchwegs gut unterhalten, die Optik stimmt (bei dem Künstler kein Wunder) und man kriegt einen kleinen Einblick in die Zeit, als die uns heute noch bekannten Figuren dem Höhepunkt ihrer Popularität entgegen schritten.
Dementsprechend kann ich „X-Men: Ein neuer Anfang“ jedem empfehlen, der weiß worauf er sich einlässt, während Neulinge oder Leser, die nur aktuelle Erscheinungen konsumieren erst einen Blick beim Comic-Shop eures Vertrauens riskieren sollten.
Jim Lee’s X-Men. SUPER!!! Ich liebe diese Serie. Wurde in den 90ern von Marvel UK auf deutsch veröffentlicht, als qualitativ schlechtes Magazin im Überformat. Habs trotzdem gekauft. Gab zu der Zeit keine anderen Superhelden auf deutsch. Der Condor Verlag war schon weg und Dino/Panini gabs noch nicht. Auf jeden Fall sehr zu empfehlen 🙂
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Gibts übrigens wie so oft auch als edle (und limitierte) Hardcover-Ausgabe! 🙂
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Aaaaaahhhhh.. dabei hab ich doch schon die UK Hefte und die SC Erstausgabe vom Panini Paperback 🙂
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Da zucken schon die Sammler-Finger! 😀 Muss mir auch mit der Zeit abgewöhnen alle Versionen zu kaufen.
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Ja, das ist eine total Gelbeutelunfreundliche Angewohnheit 🙂
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