Der Unterwasser-Schweisser
Mit dem vorliegenden Band ist ein Verlag in mein Blickfeld gerückt, den ich zuvor nicht mit Comics assoziiert habe. Nun freue ich mich umso mehr, dass sich Hinstorff dazu entschieden hat, das Gefilde der graphischen Geschichtenerzählung zu betreten.
Dank ihnen liegt nun endlich der schon 2012(!) in Nordamerika erschienene Band Der Unterwasser-Schweisser vor, der dank Ryan Gosslings Interesse an der Verfilmung des Stoffs auch in den Blick der Masse geraten ist. Wenn man sich die Story des Künstlers und Ausnahmeautoren Jeff Lemire zu Gemüte führt, versteht man die Begeisterung, die sowohl bei der stetig gewachsenen Anhängerschaft des Kanadiers, als auch Rezensenten ausgelöst wird.
Wie schon bei anderen seiner Werke (z.B. Sweet Tooth), ist Lemire neben dem Storytelling auch für die visuelle Umsetzung verantwortlich und versorgt den Leser mit einem optischen Rahmen, der perfekt zur introvertierten Atmosphäre und den leisen Tönen dieser großartigen Geschichte beiträgt:
Die Hauptfigur Jack Joseph arbeitet, wie der Titel schon andeutet, als Unterwasser-Schweißer auf einer Ölplattform vor der Küste Neu-Schottlands. In der einnehmenden Einsamkeit des Meeres verrichtet er dieselbe Arbeit wie schon zuvor sein Vater,
der vor vielen Jahren bei einem Tauchgang ertrank. Dieses Unglück ist für ihn sowohl Antrieb als auch Bürde zugleich. Wie manisch taucht er immer wieder in die Tiefe um sein Kindheitstrauma zu verarbeiten, während zeitgleich seine hochschwangere Frau an der Küste wartet und immer verzweifelter wird, umso näher der Geburtstermin rückt. In dieser erdrückenden Lage sieht sich Jack gezwungen, sich seiner Vergangenheit im wahrsten Sinne des Wortes zu stellen und damit seinem Leben einen Sinn in der Zukunft zu geben, statt in verflossenen Zeiten zu ertrinken.
In so einer kurzen Beschreibung wirkt der Plot vllt. nicht sonderlich auffällig, aber die Weise in der er gesponnen wird, berührt ab der ersten Seite Herz und Verstand. In schwarz/weiß gehalten, sprühen auch Passagen ohne Text nur so vor Emotionen, die sich alle auf die uns ureigenen Ängste von Verlust und Selbstzweifel zurückführen lassen. Darüber hinaus wird hier erneut unter Beweis gestellt, dass eine solch auf persönlicher Ebene dramatische Geschichte, durch eine graphische Umsetzung die gewisse Note bekommt, die weder Buch noch Film umsetzen könnten. Beide Formen des Geschichtenerzählens haben ihre eigenen Vorteile, die sie von anderen abgrenzen. Das Herz mit einer kleinen Bilderfolge für sich einzunehmen, bleibt aber immer noch das Metier der Comic-Kunst.
Ich vermute in diesem Zusammenhang, dass die angekündigte Umsetzung in einen Kinofilm für nicht wenige erstaunte Gesichter sorgen wird, wenn ihnen bewusst wird eine Comic-Verfilmung zu sehen, die weder etwas mit Fantasy noch einem Superhelden-Universum zu tun hat.
Neben dem positiven Anklang bei den Filmstudios, freut es mich natürlich auch persönlich, dass ein Drama so bravourös als Graphic Novel umgesetzt wurde. In meinen Augen bis jetzt eines der Highlights 2017 und damit ein Pflichtkauf! Die Nominierung als „Bester nordamerikanischer Comic“ beim PENG!-Preis des Münchner Comicfestivals war mehr als verdient und für euch vllt. ein Ansporn selbst einen Blick in Der Unterwasser-Schweisser zu werfen.