Katharsis
„Eines Tages ist mir das Zeichnen abhandengekommen. Am selben Tag wie auch eine Handvoll teurer Freunde“
Am 7. Januar 2015 veränderte sich die Welt für alle Kunstschaffenden und Freidenker, als zwei Fanatiker versuchten das geschriebene Wort und den gemalten Strich mit Gewalt auszuradieren. Wie wir inzwischen alle wissen, haben sie genau das Gegenteil erreicht und der bekannten Satire-Zeitschrift „Charlie Hebdo“ sowie der kritischen Kunst im Allgemeinen zu einer Widergeburt verholfen, die ihresgleichen sucht.
Was jedoch hinter dem abstrakten Konstrukt eines Magazins schnell in den Hintergrund gerückt ist, sind die menschlichen Schicksale der Ermordeten aber vor allem der Überlebenden dieses Massakers. Allen voran der Illustrator Luz, der sich für die Gestaltung des legendären Covers verantwortlich zeigt, welches den Lesern in einer Millionen-Auflage in seinem grünen Schimmer aus den Kiosk-Buden dieser Welt entgegen leuchtete.
Dieser Mann verdankt es einem glücklichen Zufall, dass er an seinem Geburtstag(!) eine Stunde zu spät die Büro-Räume seines Arbeitgebers erreichte und damit dem sicheren Tod entging. Für uns als Außenstehende ist es auch mit der größten Anstrengung nicht möglich die Gedanken und Gefühle nachzuvollziehen, die einen Menschen beim Anblick seiner toten Freunde und Kollegen durchdringen müssen. Wir können es nicht nachempfinden, was es für ein Gefühl sein muss zu realisieren, dass man seine Frau an diesem Morgen fast zum letzten mal gesehen hätte.
Nun ist so etwas wie das visuelle Psychogram des Künstlers erschienen, der nach dem Trauma temporär die Fähigkeit zu Zeichnen verloren und einige Monate später seinen Beruf bei „Charlie Hebdo“ endgültig an den Nagel gehängt hat. „Katharsis“ ist eine emotional sehr schwer verdauliche Sammlung an Cartoons geworden, die Luz im Laufe der Zeit angefertigt hat um die Angst, Trauer, Wut, seinen Weg zurück ins Leben und zur Kunst zu verarbeiten. Angefangen bei seiner Aussage bei der Polizei, während der er das vor Entsetzen starrende Männchen zu Papier brachte, welches auch das Titelbild des Bandes ziert, über Träume, die den eigenen Tod und immer wieder die zwei Mörder thematisieren, bis zur Verarbeitung des Geschehens am Tag der alles verändern sollte, nimmt uns Luz auf eine Reise, die den Leser bis an die Grenzen des emotional Erträglichen bringt.
Das hat vor allem damit zu tun, dass aus jeder, dem Medium Cartoon entsprechend übertriebenen und oftmals recht witzigen Darstellung, die brutale Realität entgegenspringt und dabei jedes Thema streift, welches zum Zeitpunkt des Anschlags aufgekommen ist. Die Solidarität der Gesellschaft, die Verschwörungstheorien einiger Verwirrter, die Anteilnahme der Politik und die plötzlich einsetzende Paranoia im Herzen Europas. Hinzu kommen sehr persönliche Themen in Form von Zusammenbrüchen, Angst-Anfällen, die Schuldgefühle überlebt zu haben und die Hilfe seiner Frau, ohne die der Künstler das Geschehene vermutlich kaum hätte verarbeiten können.
Dabei schwankt der Stil zwischen klassischem Comic, abstrakten Darstellungen und dem dezenten Einsatz von Farbe, die sich auf rot und blau beschränkt. Besonders beeindruckend und dabei umso schmerzlicher, sind zwei Geschichten, die direkt mit dem Angriff zusammenhängen. Zum einen das Eintreffen von Luz am Tatort, an dem ihn Blut-Spuren direkt in die Redaktionsräume führen, die symbolisch als eine gänzlich rot eingefärbte Seite dargestellt werden an deren Ecke ein kleiner blauer Punkt zu sehen ist. Dieser formt sich daraufhin immer weiter in ein Objekt, bis man feststellt, dass es sich um die blaue Jacke seiner Frau handelt, die am Tatort eingetroffen ist und ihn in den Arm nimmt. In diesem Zusammenhang habe ich selten eine so schöne Bebilderung eines rettenden Ankers in Not gesehen, die einerseits überrascht und zum Anderen tief berührt. Die andere Geschichte erzählt vom verspäteten Aufbruch am Geburtstag des Künstlers, an dem ihm seine Frau liebevoll gratuliert, sie sich gegenseitig ihre Liebe bekunden und er fröhlich in die Arbeit fährt. Plötzlich empfängt seine Partnerin (scheinbar die original zitierten!) Kurznachrichten, die vom Schock und der Fassungslosigkeit am Ort des Geschehens zeugen. Diese Darstellung führt so tief in die Gefühlswelt der Beteiligten, dass ein Kloß im Hals noch die geringste emotionale Regung des Lesers sein sollte.
Bei der Beschreibung des Inhalts könnte man denken, dass es sich um ein zutiefst depressives Werk handelt. Doch ein Cartoonist verdient seine Bezeichnung nicht, wenn er es bei all dem Schrecken nicht schaffen würde seinen eigenen Humor mit einfließen zu lassen. Kaum eine Darstellung (mit wenigen Ausnahmen!) kommt ohne Pointe aus, die den Tätern eins nachträglich auswischt, die Medien tadelt oder die kurz anhaltende, oftmals oberflächliche Solidarität geißelt. So schließt das Buch auch mit einem versöhnlichen Motiv ab, welches den Anfang des Werks wieder aufgreift. Dabei wird symbolisch aufgezeigt, dass der Künstler aus Angst nicht stehen bleibt, sondern sich in Form des anfangs gezeigten, paralysierten Männchens in Bewegung Richtung Zukunft setzt.
Trotz der sensiblen Thematik wird hier jedoch kein Voyeurismus bedient, da die Darstellung durchgehend abstrakt bleibt und damit trotz der Nähe zur Realität eine Art Trennwand erschaffen wird, die der Person des Künstlers und den Opfern den nötigen Abstand verschafft.
Dieses Buch ist in meinen Augen für diejenigen gedacht, für die der Angriff auf „Charlie Hebdo“ nicht nur eine von vielen Katastrophen darstellt. Es wurde für jene herausgebracht, die Kunst- und Redefreiheit nicht nur als gegenstandslose Begriffe ansehen. Es liegt in den Buchläden für die Menschen, für die der Schock nicht primär durch die sinnlose Gewalt gegen Menschen kam, sondern durch den Angriff auf die Gedanken, die Freiheit und die Kunst.