Drei Steine
Die folgende Rezension befasst sich mit einer Herzensangelegenheit meinerseits. Ich habe das Glück in eine Generation hineingeboren worden zu sein, die faschistisches Gedankengut als etwas so fremdartiges und verabscheuungswürdiges empfindet, dass allein der Gedanke daran mit so etwas menschenfeindlichem zu sympathisieren vollkommen abwegig erscheint. Diese Aussage lässt sich natürlich nicht verallgemeinern und die Stadt in der ich lebe bietet einen so hohen Lebensstandard, dass sich Unzufriedenheit eher selten in Angriffen gegen Minderheiten kanalisiert. Trotzdem hat insbesondere in den letzten zwei Jahrzehnten ein gewisses Umdenken stattgefunden, welches auch durch das Aussterben der ursprünglichen Nazi-Generation vorangetrieben wird.
Leider scheint der natürlich voranschreitende Abstand zu den Ereignissen der Hitler-Jahre auch dazu zu führen, dass ein gewisses Klientel trotzdem zu vergessen scheint, was zu der Terrorherrschaft unter dem Diktator geführt hat. Abgehängte und diejenigen, die Angst davor haben zu diesen zu gehören, laufen Menschen hinterher, die in Bezug auf Rhetorik und unterschwelligem (bis teils offenem) Fremdenhass in nichts der frühen NSDAP nachstehen. Irrationale Ängste brechen sich Bahn, dumpfe Ressentiments werden wieder salonfähig und ein brauner Flächenbrand, der halb Europa erfasst hat, ermutigt die Akteure in Nadelstreifen und Thor Steinar-Kluft gleichermaßen in ihrem Bestreben alles „fremde“ sowohl politisch als auch auf der Straße zu eliminieren.
Dementsprechend erscheint mit „Drei Steine“ sowohl thematisch als auch bezüglich des aktuellen Zeitgeists die passende Graphic Novel bei Panini Comics. Die autobiographische Geschichte des Autoren und Zeichners Nils Oskamp spielt in den achtziger Jahren in Dortmund-Dorstfeld, eine bis heute berüchtigte Hochburg der Glatzen in Deutschland. Ein Gebiet welches sich der oberflächlichen Anpassung an das Bürgertum, wie es die NPD pflegt, verweigert und sich immer noch als Repräsentant der stiernackigen Schläger, deren Argumente durch Faustrecht entschieden werden sieht. Hier wird Oskamp während seiner Schulzeit mehrfach Opfer rechter Gewalt, welche im fast das Leben gekostet hätte. Diese physische und psychische Einschüchterung hat ihn jedoch nicht zum Täter umgepolt, sondern zu einem entschiedenen Gegner der Rechten werden lassen, der mit der vorliegenden Graphic Novel ein Zeichen gegen politisch motivierte Gewalt setzt.
Das Buch beginnt in der Gegenwart, in der der Autor seinem Sohn aus seiner Jugend in den achtziger Jahren berichtet. Er wächst in einer Zeit auf, als die Stahlindustrie im Ruhrgebiet ihren Niedergang findet und die Zechen schließen. Dazu schießt die Arbeitslosenquote in die Höhe und die Wut über die Lebensumstände findet generationenübergreifend ein Ventil in der extremen Rechten. Dieses wird während des Jahrzehnts immer noch von ehemaligen Mitgliedern des SS und fanatischen Anhängern des „Führers“ weiter aufgedreht. Dabei suchen diese Leute gezielt verführbare Jugendliche, die damals entsprechend konditioniert noch heute Terror und Angst in der Bundesrepublik verbreiten. Ein weiterer Faktor waren die immer noch von Alt-Nazis besetzten Stellen des öffentlichen Dienstes (wie Lehrer) und die Mentalität des Vergessens in der restlichen Bevölkerung. In so einer Umgebung aufgewachsen, stellt sich Nils Oskamp konsequent dem Status Quo entgegen, um dafür mehrfach fast mit dem Leben zu bezahlen. Nur wenige Menschen solidarisieren sich mit dem jungen Mann und helfen ihm dabei standhaft zu bleiben und dem braunen Mob entgegen zu treten. Die Öffentlichkeit und das Elternhaus ignorieren die Gefahr zeitgleich konsequent und zeigen die krankhaften Symptome einer Nation, die scheinbar erst nach der Aufdeckung der NSU-Morde aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht ist. Wenn man sich Stück für Stück durch diese Story vorarbeitet erkennt mit Schrecken die zeitlose Aktualität der Ereignisse wieder. Junge Menschen, die aus Perspektivlosigkeit heraus ein Feindbild suchen, welches ihnen mehr oder minder subtil durch AfD (z.B. die Causa Gauland im Fall Boateng) oder PEGIDA (Flüchtlinge als Invasoren) vorgesetzt wird. Das Ergebnis sind brennende Flüchtlingsheime und ein an das 3. Reich erinnernder Gestus à la Björn Höcke. Zwar agiert die Dortmunder Szene nach wie vor im Vergleich zum restlichen deutschen Gebiet extrem brutal, die treibenden Gedanken hinter den Aktionen bleiben jedoch ein bundesweites Phänomen.
In diesem Sinne handelt es sich um eine graphisch aufbereitete Mahnung an die Provokateure und eine helfende Hand für die Jugend, hinter der die Aufforderung steht: Lasst euch nicht von den Rattenfängern verführen! Stellt euch Rassismus, Antisemitismus und Nazis offen entgegen! Sie sind die laute Minderheit, die simple Antworten auf komplizierte Lösungen geben möchten und dabei die Probleme erst selber erschaffen.
Den aufwühlenden Ereignissen folgt ein ausführliches Nachwort, welches das Thema nochmal von sachlicher Seite aus beleuchtet. Zunächst wird die jüdische Tradition der „drei Steine“ erklärt, die auch titelgebend für das Werk ist. Danach sehen wir eine Auseinandersetzung mit der „Kontinuität des Hasses“, die einem Zeitstrahl folgend die einschneidendsten Ereignisse rechter Gewalt und Anstöße für die Szene beleuchtet und am lokalen Beispiel Dortmund nochmals zeigt, dass der Kampf noch lange nicht ausgestanden ist.
Aufgrund der Relevanz des Themas wird durch die Amadeu Antonio Stiftung auch eine auf 96 Seiten gekürzte Schulausgabe als Softcover publiziert, damit junge Leser durch das Medium Comic einen leichteren Zugang zu der Materie bekommen und eine Auseinandersetzung anhand eines realen Beispiels fast schon spielerisch erfolgen kann. Diese Fassung kann über die Webseite www.dreisteine.com für Schulen bestellt werden. Dort findet man auch passendes pädagogisches Begleitmaterial, welches im Unterricht eingesetzt werden kann.
Ich kann dementsprechend eine eindeutige Empfehlung für all jene aussprechen, die sich für das Thema „rechte Gewalt“ interessieren, für Eltern die ihre Kinder vor der allgegenwärtigen Gefahr bewahren und für Pädagogen, die ihre Schützlinge aufklären wollen, ohne auf trockene Broschüren oder immer wieder gekaute Phrasen zurück greifen zu müssen.
Panini Comics und Nils Oskamp können stolz darauf sein, auch im Bereich der neunten Kunst ein Zeichen gegen Rechts gesetzt zu haben.
Hier können sowohl Schulen als auch alle anderen das Buch bestellen.