
Hart, härter, Crossed. Anders als mit dieser Steigerung, kann man die Eskalation an Gewalt auf den knapp 400 Seiten nicht beschreiben. Aber eins nach dem anderen. Mir fiel die Serie schon früh in der „Panini Vorschau“ dadurch auf, dass die Cover der jeweiligen Ausgaben gerne geschwärzt und mit dem Hinweis auf eine Altersempfehlung von 18+ versehen wurden.
Als großer Fan von Horror- und Splatter-Filmen wurde meine Neugier zwar geweckt, aber aus mir bis heute unerklärlichen Gründen, habe ich mich nie dazu durchgerungen einen Blick in „Crossed“ hinein zu werfen. Natürlich war mir der Name Garth Ennis bekannt, obwohl das bis dato einzige Werk, dass ich von ihm gelesen habe „Rover, Red, Charlie“ war. Aber selbst die seltsam anmutende Geschichte um drei Hunde, die sich durch die Postapokalypse kämpfen, hat schon viel von den typischen Elementen einer Ennis-Erzählung gehabt, die man auch in der berühmtesten Reihe des Iren wiederfindet: beißender schwarzer Humor und Gewalt bis zur Schmerzgrenze.
Worum geht es nun in diesem „Monsterband„, der die Hefte #0 bis #09 von „Crossed“ und #1 bis #07 von „Crossed: Family Values“ umfasst? Zunächst kommt einem das vertraute Gefühl einer Zombie-Apokalypse à la „The Walking Dead“ in den Sinn, welches sich aus überraschten Unbeteiligten und nach Fleisch gierenden Infizierten zusammensetzt. In diesem Fall sind erstere die Besucher eines Diners und den zweiten Part übernimmt ein mit dem Kreuz (das Erkennungszeichen der Kranken) gebrandmarkter Mann, der mit breitem Grinsen im Gesicht einen blutigen Beckenknochen, samt Wirbelsäule auf dem Tresen präsentiert. Nun folgen Ereignisse im Sekundentakt, die darstellen, wie schnell sich die Seuche ausbreitet und nur Momente zuvor friedfertige Mitmenschen in blutrünstige Monster, mit einem unstillbaren Verlangen nach Sex und Tod verwandelt.
In diesen ersten Szenen lernen wir auch einige der Hauptcharaktere kennen, die wir mit dem Beginn der Haupthandlung, einige Monate nach dem Ausbruch, in einem Kampf ums blanke Übeleben erneut begegnen. Diesen bestreiten sie auf dem Weg in den Norden der USA, wo sie sich einen weniger besiedelten und damit sichereren Landstrich erhoffen. Der Weg dorthin scheint jedoch schlimmer zu werden, als jegliche Vorstellung der Hölle. Angefangen bei Erkenntnissen, die die Übertragung der Krankheit betreffen (Körperflüssigkeiten müssen sich offensichtlich nicht nur auf Blut und Speichel beschränken), über die Feststellung, dass die Infizierten ihre Intelligenz und gewisse Kenntnisse beibehalten haben, diese jedoch für den größtmöglichen Schaden nutzen, bis hin zu Gewaltakten, die Snuff-Pornos zu einem Abend mit dem Sandmännchen degradieren – diese Welt ist zum wahr gewordenen Albtraum mutiert, der es sogar schafft, sich bis zum Schluss in allen Belangen zu steigern.
Dabei schreckt Ennis nicht vor Themen zurück, die andere bis zu dieser Lektüre vielleicht noch nicht einmal auf dem Schirm hatten. Ob Kannibalismus und damit in Zusammenhang gebrachter Kindsmord, Gruppenvergewaltigungen, die in Exekutionen münden oder einfach generell die schlimmsten Todesarten, die man sich vorstellen kann. Der Autor entfernt jeden moralischen Filter, den man sich als Schreiber auferlegen könnte und ballert eine perverse Szene nach der anderen raus. Was dabei in meinen Augen aber zu kurz kommt, ist die Charakterentwicklung, die hinter der Splatter-Atmosphäre zu verschwinden droht. Es gibt zwar einzelne Figuren, die offensichtlich einen Ankerpunkt für den Leser darstellen sollen, aber durch ihre recht flache Strukturierung nicht über den Wiedererkennungswert anhand einer Frisur oder eines Accessoires hinweg kommen. Eigentlich ziemlich schade, wenn man bedenkt, wie emotional aufgeladen eine Ennis-Story wie das erwähnte „Rover, Red, Charlie“ sein kann. Dem kann leider auch nicht der Zeichner Jacen Burrows etwas hinzufügen. Zwar geht der Mann in den Details jedes erschreckenden Panels auf und platziert diese mit einem Augenzwinkern, welches man oft erst bei genauerer Betrachtung entdeckt, aber mehr als das Standardrepertoire, samt fehlender individueller Note ist trotz allem nicht zu finden. Man soll mich dabei bitte nicht falsch verstehen. Burrows beherrscht sein Handwerk, aber die Bilder können die fehlende emotionale Tiefe nicht wett machen. In diesem Sinne ist es vielleicht Jammern auf hohem Niveau, sollte aber erwähnt werden.
Leider sieht es auch im zweiten Teil des Bandes mit dem Titel „Family Values“ nicht anders aus. Da Ennis mit seinem Teil die Geschichte von „Crossed“ als abgeschlossen erachtet hat, übergab er die von ihm erschaffene Welt an andere Autoren und Zeichner, die die Leser mit anderen Figuren und Settings versorgen sollten. In diesem Fall schrieb David Lapham eine mit typischen Horror-Elementen aus dem Mittleren Westen der USA befüllten Story-Strang, der in Teilen sogar in moralisch noch tiefere Abgründe steigt, als man es nach der bisherigen Lektüre annehmen könnte. Das Ganze fängt auf einer Pferderanch an, die von einem tief religiösen Familienoberhaupt geführt wird, der seine sakralen Überzeugungen hinten anstellt, wenn es um seinen Sexualtrieb gegenüber seinen Töchtern geht. Da dieser reale Alptraum nicht reicht, wird die mit dem Kreuz gezeichnete Horde auf die Siedlung um das Gestüt losgelassen. Ein Großteil der Familie überlebt zwar, aber die großen Themen Inzest und Tod beherrschen die Handlung bis zum bitteren Schluss…
Gezeichnet wurde dieser Teil von Javier Barreno, der es durchaus mehr versteht Gefühle in die Mimik und Gestik der Protagonisten zu legen, es aber trotzdem nicht schafft das Korsett aus Blut und Verdammnis auf eine zumindest visuell höhere Ebene zu hieven. Vielleicht ist diesbezüglich meine Anspruchshaltung einfach eine andere, als bei Lesern, die exakt solche Kost suchen. Trotzdem denke ich, dass es möglich gewesen wäre, die Perversion der vorliegenden Geschichten auch mit den beiden Zeichnern in eine interessantere Richtung zu bewegen, die weiterhin schockiert, aber nicht nur vom „hab ich das wirklich gerade gesehen?“-Moment lebt. Man kann sogar sagen, dass man mit jeder Seite etwas weiter abstumpft und daher noch weniger in der Lage ist mit den Helden der Geschichte mitzufiebern oder mit ihnen zu trauern, da sie vom Gefühl her ohnehin jederzeit sterben könnten. Wie das Ganze dann abläuft, verliert selbst bei vollkommen überdrehten Momenten seinen Reiz und driftet in ein Gefühl der Belanglosigkeit ab. Ein passendes Sinnbild wäre wohl einen B-Movie-Splatter anzusehen, der sich über mehrere Stunden hinzieht. Am Anfang vielleicht spannend, aber spätestens bei der Hälfte scheint alles wichtige durch zu sein.
Daher verstehe ich zwar jeden Fan der Reihe, die aufgrund ihrer Extremität auch in heutigen Zeiten schocken kann, würde aber jedem Neueinsteiger empfehlen im nächsten Comicshop in „Crossed – Monsterband: Band 1“ rein zu blättern und sich selbst darüber Gedanken zu machen, ob es dem eigenen Geschmack entspricht. Ich für meinen Teil wurde zwar durchaus gut unterhalten, aber in dieser Masse von über 400 Seiten wird aus dem wohligen Horror-Snack, dann doch schnell eine Übersättigung.