Am liebsten mag ich Monster

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Graphic Novel. Ein Begriff unter dem sich aktuell scheinbar jeder etwas vorstellen kann, aber doch keiner so genau weiß, wie er oder sie das Medium exakt beschreiben soll. Für die einen ist es einfach ein Terminus, den sich der Feuilleton zu eigen gemacht hat, um sich vom immer noch belasteten Begriff des Comics abzugrenzen, obwohl es sich schlussendlich um die ein und dieselbe Sache handelt. Für die anderen ist es eine Art grafisch aufbereiteter und in sich geschlossener Roman, der die Bilder aus dem Kopf des Autoren aufs Papier wandern lässt.

Am Ende des Tages liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen, lässt aber auf beiden Seiten einen wichtigen Aspekt außer acht, der Bände wie den hier vorliegenden „Am liebsten mag ich Monster“ von Emil Ferris zu etwas ganz besonderem macht. Eine Erzählung aus der Sicht eines jungen Mädchens namens Karen Reyes, die zunächst mit einem unschuldigen Anstrich den Leser auf eine falsche Fährte lockt, um im Laufe der Handlung mit einem Vorschlaghammer an Emotionen die Vielzahl an Facetten des Erstlingswerks der Autorin und Zeichnerin offenzulegen.

Dabei folgen wir nicht einfach einer Figur von Panel zu Panel, sondern lesen quasi in Karens Tagebuch, dass im Stil eines Ringblocks aufgemacht ist und ihre Alltagsbeobachtungen, sowie intimsten Gedanken zu Familie, Freunden und der Liebe beinhaltet. Dazwischen platziert sie eine Vielzahl an Monster- und Pulp-Zeichnungen, die auf trashigen Postern und Magazin-Covern basieren. So wird man langsam an die Familiensituation herangeführt, sieht die holprigen Versuche Freundschaften zu etablieren und die Entdeckung der eigenen Andersartigkeit in Form einer aufkeimenden Homosexualität. Die Selbstdarstellung als ein mit Reißzähnen bewaffnetes kleines Monster ist dabei eine offensichtliche Metapher für die erfahrene Ausgrenzung in der unmittelbaren Umgebung, die empfundene Andersartigkeit in Bezug auf ihre sexuellen Empfindungen, aber auch ein imaginierter Schutz vor der als unfair und gefährlich empfundenen Welt der 1960er-Jahre in den USA.

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©Panini Comics

Ab einem gewissen Zeitpunkt vollzieht sich jedoch ein schleichender Bruch, der die Coming-of-Age-Geschichte in Richtung Murder-Mystery führt, als Anka Silverberg, die Nachbarin der Reyes (bestehend aus Karen, ihrer Mutter und ihrem Bruder) ermordet wird. Dies ist gleichzeitig der Ausgangspunkt für einen Film-Noir-artigen Handlungsstrang, in dem Karen sich als Detektivin betätigen möchte, um das Geheimnis um den Tod der deutschen Immigrantin aufzuklären.

Dabei schlittert man mit ihr durch ein von sozialen Problemen durchzogenes Chicago, dass kein relevantes Thema der Zeit außen vor lässt und mit historische Ereignissen als Authentizitätsbeweise durchzogen ist. Auf diesem Weg begegnet sie nicht nur die in ihrem Kopf spukenden, sondern auch den ganz realen Monstern dieser Welt. Diese lassen sich aber auch in der Vergangenheit finden, in die Karen durch das Anhören alter Kassetten abtaucht, um weitere Hinweise in ihrem Fall zu erlangen. Dabei wird die desaströse Kindheit und Jugend von Anka Silverberg während der Weimarer Republik und den Jahren der NS-Herrschaft nachgezeichnet, die in ihrer Wucht bezüglich Themen wie Kindesmissbrauch oder Antisemitismus allein schon wegen dem Kontrast zu Karens eigener Geschichte beim Leser einschlägt wie eine Bombe und sich angereichert mit erschütternden Details fast bis zum Schluss des Bandes durchzieht.

Weitere Details zum Inhalt möchte mir ab diesem Zeitpunkt sparen, um die Spannung beim lesen zu erhalten und die weiter oben erwähnte „Mystery“ ihrem Namen gerecht werden zu lassen.

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©Panini Comics

Bezüglich der visuellen Aufmachung ist es schwer in Worte zu fassen, was Emil Ferris hier auf ganzen 420 Seiten zu Papier gebracht hat. Vielleicht ging es ihr bei der Erstellung von „Am liebsten mag ich Monster“ ähnlich, denn hier nutzt sie die Eigenarten des Comics bis zum äußersten aus und zeigt damit auf, dass grafische Literatur ein eigenständiges Medium ist, dass Möglichkeiten bietet Dinge darzustellen, die in Worten kaum zu beschreiben sind. Allein die Tatsache, dass wir Karens gezeichnetes Tagebuch in den Händen halten, bietet uns die Möglichkeit die Welt durch die Augen des Hauptcharakters zu betrachten. So schwankt die Darstellung ihres idealisierten Bruders vom Helden zum Monster und zurück, ein Besuch im Museum wird zum wortwörtlich greifbaren Ereignis und es ist nie die Sicherheit gegeben, dass Freunde und Bekannte bezüglich ihres Aussehens nicht gerade gänzlich auf der Interpretation von Karen  basieren. Genau dieses Spiel zwischen Fiktion und Realität macht den zusätzlich Reiz aus, der Comics (oder Graphic Novels wenn man darauf besteht) für sich einzigartig macht.

Neben dem sicheren Umgang mit dem Medium, erweist sich Emil Ferris neben ihrem Talent als Autorin, auch noch als großartige Künstlerin, die offensichtlich kein Problem damit hat zwischen Cartoons, photorealistischen Momentaufnahmen und Reinterpretationen berühmter Kunstwerke zu springen, aber am Ende doch ein Gesamtbild zu erzeugen. Mit Blei- und Buntstift bewaffnet, hat sie es geschafft jede Seite extrem individuell zu gestalten, aber trotzdem in einen Fluss zu setzen, der angenehm von Kapitel zu Kapitel gleitet und den Leser zeitgleich motiviert mit Karen weitere Geheimnisse offen zu legen.

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©Panini Comics

Alles in allem handelt es sich bei „Am liebsten mag ich Monster“ daher um nichts weniger als ein Gesamtkunstwerk, dass nicht ohne Grund für den prestigeträchtigen „Hugo“-Award nominiert wurde. Daher ist es eigentlich fast unglaublich, dass die Künstlerin mit Mitte fünfzig hier ihren ersten Band vorgelegt hat. In diesem Sinne darf man darauf hoffen, dass noch zahlreiche Nachfolge-Ausgaben ihren Weg in die Bücherregale der Leser finden werden, denn von diesen wird es nach der Lektüre dieses Titels nicht wenige geben. Eine klare Kaufempfehlung!

Am liebsten mag ich Monster
Verlag: Panini Comics 
Erscheint am: 25.06.2018 
Autorin und Zeichnerin: Emil Ferris
Format: Softcover 
Seitenzahl: 420 
Preis: 39 EUR

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