Ghost Realm

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Als ich vor ein paar Jahren das erste mal auf dem Comicfestival München war, fiel mir ein Künstler ganz besonders auf: Timo Wuerz. Das erste, was einem ins Gesicht springt ist seine extrovertierte Optik samt flächendeckenden Tattoos, Iro und punkigem Outfit. Als er dann an seinem Platz anfing in unglaublicher Geschwindigkeit mit seinem Pinsel kleine Meisterwerke aufs Papier zu bringen, war es nur eine Frage der Zeit, bis sich jeder ein Bild nach Hause mitnehmen wollte. Es schien als ob sein Pinsel von alleine hin und her tänzelt und dabei aus zunächst undefinierbaren Farbklecksen Figuren entstehen, die in der gegebenen Zeit nicht plastischer sein könnten. Im Großen und Ganzen also ein Ausnahmetalent, welches sowohl als Person als auch Künstler positiv auffällt.

Was mich jedoch gewundert hat, war die komplette Abwesenheit seiner Werke. Üblicherweise werden Zeichner von den zuständigen Verlagen mit einem Katalog oder Neuerscheinungen unterstützt bzw. der Verkauf durch die Anwesenheit des Gastes angekurbelt. Hier saß nun jemand, um dessen „Sketche“ sich die Menschen rissen, aber nichts mit nach hause nehmen konnten, um seine Arbeit als Produkt ins Regal stellen zu können.

Später fand ich heraus, warum das der Fall war. Timo ist eine Legende, die schon mit 14 die erste Ausstellung hatte und nur wenige Jahre später den ersten Comic veröffentlichte. Es folgten weitere Projekte in dieser Sparte, bis er sich plötzlich komplett aus diesem Bereich zurück zog und anderweitig kreativ austobte. Dabei scheint er keine Grenzen zu kennen, wenn man sich sein erstaunliches Portfolio ansieht: Briefmarken, Freizeitpark-Entwürfe, Lack-Designs für Sportwägen, CD-Cover für Bands (Rock und Metal sind seine Steckenpferde und damit noch ein Sympathie-Punkt), Logos, Cover usw. Man könnte diese Liste praktisch bis ins unendliche weiter führen.

Nun meldet er sich endlich mit einem Comic in Form von „Ghost Realm“ in der Szene zurück und der hat es in sich. Zunächst zur Story von Robert Franke: Die Hauptcharaktere Elvira und Sam sind beide jugendliche Underdogs, die konstant mit Problemen in ihrem privaten Umfeld zu kämpfen haben. Elvira muss sich mit ihrer alkoholkranken Mutter auseinandersetzen, die den Tod ihres Mannes nicht verarbeiten kann und Sam steht unter dem Erwartungsdruck seines akademisch in höchsten Sphären schwebenden Vaters. Eines Abends müssen die beiden vor einer Gruppe Schläger fliehen, die die beiden scheinbar schon länger auf dem Kieker haben. Dabei geraten sie per Zufall in den mysteriösen Laden eines Doktor Wang, in dem verstörende Dinge vor sich gehen, die sowohl die Rowdys als auch die Haupt-Protagonisten an ihren Sinnen zweifeln lassen. Ab hier gerät das Leben der beiden völlig außer Kontrolle, als sie sich unabhängig voneinander in einer seltsamen Welt, dem titelgebenden „Ghost Realm“, wiederfinden. Dieser wird von Wesen aus den wildesten Fantasien bevölkert. Von Fabelwesen, über Voodoo bis Science-Fiction scheint hier alles aus jeder Ecke des Surrealen vertreten zu sein um Elviras und Sams Welt gänzlich auf den Kopf zu stellen…

Illustriert wird das Geschehen wie schon erwähnt von Timo Wuerz, der die Grenzen des Mediums Comic durchgehend sprengt. Klassische Panels? Fehlanzeige! Nur selten müssen sie mit Linien typisch getrennt werden. Hier werden Umgebung, Gegenstände oder einfach nur Bewegung genutzt um eine Struktur zu schaffen. Größtenteils starrt man jedoch ehrfürchtig auf Seiten füllende Layouts, die vor Details nahezu überlaufen. Dieser Stil erinnert mich persönlich sehr an die Arbeiten von Dave McKean, wobei hier auf Fotografien und Collagen mit Gegenständen verzichtet wird und der gemalte Strich im Vordergrund steht. Die Darstellung der Figuren lässt mich hingegen an Lee Bermejo denken, der ebenfalls viel und schnell mit großen Farbflächen arbeitet und die Charaktere sehr realistisch rüberbringt. Wenn man es genau nimmt, kann man kaum in Worte fassen,   wie großartig und vor allem einfallsreich jede einzelne Seite umgesetzt wurde. Natürlich wird der Künstler selbst eine ganz eigene Meinung zu seinem Schaffen haben. Als außenstehender Betrachter gibt es aber rein gar nichts zu bemängeln. Der einzige Grund die Illustrationen schlecht zu finden, wäre ein abweichender Geschmack.

Eine ähnliche Meinung scheint übrigens auch Popcom zu vertreten, die nach Timos Comeback eine Werksausgabe veröffentlichen wollen. Zunächst darf man sich freuen, dass es eine zweite Ausgabe von „Ghost Realm“ geben wird. Um sich bis dahin an weiteren Bänden zu erfreuen, kommt zum Beispiel im Juni “Aaron und Baruch”. Hier geht es um den Waffenhändler Aaron, der von ständigen Albträumen gequält wird und den Serienkiller Baruch, der Vergnügen am Töten gefunden hat. Ich lege mir nach dem persönlichen Einstand mit dem hier besprochenen Band mit Sicherheit alle seine Bücher zu und freu mich schon auf das nächste Mal, wenn ich mich erneut an den fantastischen Bildern laben kann.

Wer sich ein eigenes Bild von den von mir beschriebenen Bildern uns Szenen machen möchte, hat bei dieser Leseprobe die Möglichkeit dazu.

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