Über: Das letzte Aufgebot – Band 1

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Die Kenner unter euch haben schon sicherlich von dem Verlag Avatar Press gehört. Regelmäßige Besucher meines Blogs kennen ihn zumindest über die Besprechung des großartigen „Rover Red Charlie„. Es ist im Endeffekt die Heimat all jener kreativen Geister, die primär ihr Werk und nicht die Reaktion der Leser und Kritiker vor Augen haben. Daher haben sich schon Größen wie Alan Moore hier eingefunden um eher unkonventionelle Veröffentlichungen wie „Neonomicon“ auf den Markt zu werfen. Den meisten deutschen Lesern sollte hierbei „Crossed“ von Garth Ennis etwas sagen. Eine Reihe, die auch aufgrund ihrer expliziten Cover gerne mal geschwärzt in der Panini Preview zu bewundern ist.

Nun kommt der nächste Streich aus diesem Hause und trägt den Namen „Über„. Klingt deutsch? Das ist richtig und hat einen Grund. Es handelt sich bei der Story um eine Art „Elseworld“-Geschichte in den letzten Atemzügen des zweiten Weltkriegs. Es ist Ende April, 1945 und die sowjetischen Truppen sind im Begriff Berlin einzunehmen. Deutschland ist endlich geschlagen und Hitler steht kurz davor sich seine braune Suppe aus dem Kopf zu blasen. Soweit, so bekannt. Nun kommt der Punkt, der alles ändert. Ähnlich der Theorie was passiert wäre, wenn die Nazis zuerst die Atombombe gehabt hätten, bringt der Autor Kieron Gillen die sogenannten „Panzermenschen“ und humanoide „Schlachtschiffe“ in Stellung. Richtig gehört: Es geht um Nazis mit Superkräften, die als letzter Streich gegen die Alliierten geführt werden und damit den Lauf der Geschichte deutlich verändern. Als dann jedoch eine Agentin, die am Projekt der Supermenschen mitgearbeitet hat, sich nach Großbritannien absetzt und Churchhill dazu überredet auf die selbe Taktik zu setzen, geht der Kampf erst richtig los.

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©Avatar Press

Und genau hier verläuft der im Vorwort der Ausgabe genannte schmale Grat zwischen Experiment und Trash, aber seien wir ehrlich: Wie viel Anspruch kann eine Serie mit sich bringen, die das weiter oben genannte Thema behandelt? Das einzige worauf man bei der Herangehensweise an so ein Projekt achten muss, ist die potentielle Glorifizierung der Faschisten zu unterbinden. Offensichtlich war das Gillen auch bewusst, denn vor jedem Kapitel bzw. US-Heft gibt es einen einleitenden Text, der die Angst bei den falschen Leuten auf Zuneigung zu stoßen widerspiegelt. Diese braucht er aber definitiv nicht zu haben. Die Protagonisten werden als die Fanatiker dargestellt, die sie waren. Machtbesessene Monster, denen ein Menschenleben gerade mal so viel Wert ist, wie das Ergebnis, dem der Tod vorausgeht. Wenn da jemand Sympathien entwickeln würde, sollte man dieser Person den schnellsten Weg in die Klapse oder einen Ausflug in die nächste KZ-Gedenkstätte spendieren.

Nun könnte man argumentieren, dass es pietätlos sei über diese Zeit in der Form zu berichten und sie dem Entertainment zuliebe zu verfälschen. In diesem Zusammenhang sollte man sich aber bewusst werden, dass selbst schrecklichste Ereignisse früher oder später der Popkultur zugeführt werden. Insbesondere in der sich heute rasant entwickelnden Gesellschaft ist es nicht verwunderlich, dass auch Themen angegangen werden, die noch lebende Menschen miterlebt haben. Solange eine Distanz gewahrt wird, die die Figuren nicht zu Helden stilisiert, muss man das aushalten können.

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©Avatar Press

Aushalten wäre im Fall von „Über“ aber übertrieben. Es ist tatsächlich eher so, als würde man einen guten B-Movie ansehen, der die Handschrift eines Regisseurs wie Tarantino tragen könnte. Weniger Tiefe, Anspielungen und Genialität, die Richtung ist jedoch klar: Gewaltorgien und perverse Experimente auf allen paar Seiten wissen gut zu unterhalten ohne, dass man sich realer Gewalt oder bestimmten Ideologien zugehörig fühlen muss. Selbst wenn historische Personen auftauchen, wirkt es nicht wie eine „was-wäre-wenn“-Geschichte, sondern gibt dem Ganzen noch etwas mehr Würze. Wer würde es nicht feiern, eine der NS-Größen im Comic aufgeknüpft zu sehen?

Passend zur Atmosphäre und dem Inhalt wurde Canaan White als Zeichner angestellt. Mit seinem zum Genre passenden Stil, der plastisch von klassischen Panels bis zu Seiten füllendem Schlachtgetümmel reicht, setzt er Figuren und Hintergründe so um, wie sie sich gehören. Selbstverständlich findet man übernatürlich gestählte Körper, aber der Rutsch in irgendwelche schrägen Karikaturen bleibt nachvollziehbar (und glücklicherweise) aus. Whites Stil kann man zwar dementsprechend als „gewöhnlich“ bezeichnen, aber genau das ist der Punkt, der die Story trägt, ohne alles zu einer reinen Gewaltorgie verkommen zu lassen, die den Inhalt in den Hintergrund rückt. Dieser ist zwar nicht sonderlich komplex, aber trotzdem unterhaltsam. Man möchte wissen wie es weitergeht, was die Nazis für Trümpfe in der Hinterhand haben und wie die Alliierten ihnen einen Riegel vorschieben können. Alles in allem also wie ein Trash-Movie-Abend mit Kumpels und Bier.

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©Avatar Press

Ob das dem eigentlich ernsten Thema gerecht wird, muss jeder für sich selbst entscheiden. Wenn aber jemand „Inglourious Basterds“ ansehen konnte, ohne Schnappatmung zu bekommen, der wird auch hier auf seine Kosten kommen. Am Ende bleibt der Fakt, dass es einer dieser Releases ist, den man objektiv höchstens von der Machart beurteilen kann. Ich für meinen Teil fand „Über – Das letzte Aufgebot“ sehr unterhaltsam und freue mich auf die Fortsetzung, die hoffentlich auch ihren Weg nach Deutschland findet.

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