Love Addict

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Vor ein paar Jahren war der legendäre Zeichner Robert Crumb zu Gast beim Münchner Comicfestival und all jene die sein Werk nicht kannten, waren vermutlich leicht verblüfft als sie seine Bilder sahen. Hier saß nun dieser träumerisch wirkende alte Mann und als Kontrast waren da diese Bilder, die alle möglichen Sex-Fantasien eines Nerds repräsentieren. Das typische Motiv ist dabei der unattraktive Eigenbrötler, dem eine in allen physiognomischen Merkmalen übertriebene Frau gegenübersteht. Ein auf Papier gebannter Wunsch nach körperlicher Nähe ohne Verpflichtungen, aufgeladen mit der Angst der Abweisung. Das machte Crumb besonders und genau diesem Stil blieb der Mann über Jahrzehnte hinweg treu. Das Problem daran war und ist der oft fehlende Bezug zur aktuellen Generation an „Liebe“ suchenden Außenseitern. Seine Motive sind den 60ern entsprungen und wirken auch heutzutage noch wie aus der Zeit gefallen.

Zwar ist der Wunsch des Underdogs nach sexueller Zuneigung natürlich gleich geblieben, aber die Umstände haben sich insbesondere in den letzten Jahren extrem gewandelt. Apps wie „tinder“ verändern das „Balzverhalten“ der Menschen zu einer bizarren Form des Einkaufserlebnisses. Fleischbeschau wäre noch nett ausgedrückt. Genau in dieses Umfeld schickt der gebürtige Israeli Koren Shadmi seine Hauptfigur K. (Kafka lässt grüßen). Der Gute wurde von seiner Freundin verlassen und gerät in ein schwarzes Loch, welches Männer, die Probleme haben Frauen anzusprechen nur allzu gut kennen. Frustration, Selbstzweifel und der Sex ist schon so lange her, dass man sich fast an den Zustand gewöhnt hat. Genau zu diesem Zeitpunkt kommt K.s Mitbewohner Brian ins Spiel, der ihn auf die Plattform „Lovebug“ aufmerksam macht. Diese ist im Endeffekt das selbe wie „tinder“ und lässt unseren Helden in die unverbindliche Welt der (auf Sex zumindest ausgerichteten) Dates des 21. Jahrhunderts abtauchen.

Zunächst geht er unbedarft an die Sache heran, verhält sich eher ungewöhnlich für solche Arrangements und trifft entsprechend seltsame Gestalten. Diejenige, die sich noch am ehesten der Sparte „normal“ zurechnen lassen, sind jedoch von seiner nerdigen Aura angetan. Nach mehreren Anläufen fängt er an das Spiel zu verstehen und entwickelt etwas wie Kalkül bei den Treffen mit Frauen. Plötzlich werden aus interessanten Gesprächen komplett auf Sex-Dates zugeschnittene Dialoge, die nur ein Ziel verfolgen. Teilweise werden sogar Phrasen auswendig gelernt, Namen verwechselt und der kleine Freundeskreis wird dank ständig wechselnder Begleitung verwirrt. Er entwickelt sogar ganze Pläne vom ersten Kontakt, über die Hinführung zu bestimmten Orten bis zum großen Finale im Bett. Um diesen Zustand zu verdeutlichen, werden die einzelnen Kapitel mit immer größer werdenden Zahlen in Bezug auf realisierte Treffen überschrieben, Namen der Gespielinnen kommen einem mit der Zeit vor wie Dekor und mit wenigen Ausnahmen rückt der Charakter so weit in den Hintergrund, dass nur noch der Körper als funktionelle Hülle übrig zu sein scheint.

Damit wird auf eine gelungene Art und Weise die Gefühlswelt des K. bzw. die Wahrnehmung seiner Umwelt auf den Leser übertragen, der jedoch das Glück hat als Beobachter noch den Unterschied zwischen Spaß und egoistischer Befriedigung der eigenen Lust zu erkennen. Diese Grenze scheint die Hauptfigur nämlich mit fortschreitendem „Erfolg“ immer öfter zu streifen und in einem Fall sogar beinahe zu übertreten. Ein Punkt, der ihn seine bis dato absolvierte Odyssee überdenken lässt, den Leser aber schlussendlich doch im unklaren lässt, ob die Abwendung von seiner Sucht endgültig oder nur eine Phase ist. Ein insgesamt sehr starker Story-Bogen, der trotz offenem Ende einen zufrieden die letzte Seite umblättern lässt. Dafür sind vor allem die vielen witzigen Situationen verantwortlich, die das im Kern unappetitliche Thema der aktuell grassierenden Vermittlungsplattformen treffend umschreiben und ein deutliches Statement dazu setzen. Eine wirklich runde Geschichte, die ohne Hänger durchgehend zu unterhalten weiß.

Koren Shadmi übernimmt dabei neben dem Autoren-Teil auch die Aufgabe der Visualisierung seiner Ideen. Hier lehnt er sich teils sehr deutlich an den zu Anfang erwähnten Robert Crumb an, der viel mit Schraffur arbeitet und damit seine Figuren extrem plastisch wirken lässt. Während eines Kapitels besucht K. sogar mit einer Bekanntschaft eine Ausstellung des Künstlers. Es folgt selbstverständlich eine Bett-Geschichte, die aber insbesondere bei der dargestellten Frau keinen Zweifel an der Inspiration durch den alten Meister lässt. Trotzdem behält sich Shadmi eine Eigenständigkeit bei, die ihn vor einer Degradierung zu einer simplen Kopie bewahrt. Körpersprache und Mimik der Charaktere wirken durchwegs lebendig und dem Thema entsprechend passend in Szene gesetzt. So wird Verzweiflung und Komik gleichermaßen Rechnung getragen, die beide Grundbausteine dieses Werks sind.

Alles in allem handelt es sich bei „Love Addict“ um eine Pflichtanschaffung für alle Fans der Crumb-Charaktere, Nerds mit „Träumen“ und alle, die sich gepflegt durch eine Graphic Novel unterhalten lassen wollen, die diesen Namen allemal verdient.

Hier könnt ihr euch das Buch besorgen.

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