Bei dieser aktuellen Rezension handelt es sich hinsichtlich der Art und des Inhalts um eine ganz Besondere. Wie oft kommt man denn auch heutzutage dazu ein Märchen zu lesen und dieses auch noch zu bewerten?
Diese Chance habe ich nun durch Knesebecks „Der Fluch der Spindel“ bekommen und habe sie auch sehr gerne genutzt. Zunächst könnte man aufgrund des Titels und des entsprechenden Covers darauf kommen, dass es sich einfach nur um eine aufgewärmte Version von „Dornröschen“ handeln könnte, doch weit gefehlt! Der Autor Neil Gaiman, den man als Comic-Fan vor allem durch sein Wirken an der legendären „Sandman“-Reihe kennen sollte, schafft es in der vorliegenden Ausgabe zwei ganze Welten, die einem von Kindesbeinen an bekannt sein sollten, zu verweben.
So haben wir eine junge Königin, die von ihrem Zwergen-Hofstaat am Vortag ihrer Hochzeit darum gebeten wird bei der Rettung einer verfluchten Prinzessin mitzuhelfen. Diese wurde samt ihres gesamten Reiches in einen magischen Schlaf versetzt, welcher (typisch für Märchen) nur durch einen Kuss wieder gebrochen werden kann. Allein diese Ausgangslage zeigt deutlich welchen Ursprung diese Figuren haben. Erstere ist selbstverständlich „Schneewittchen“, die nach ihrer Rettung durch den Prinzen auf die Ehe wartet. Zweite Protagonistin ist „Dornröschen“, welche noch gefangen hinter hohen Mauern und undurchdringlichem Rosen-Gestrüpp auf ihre Erlösung wartet.
Hier setzt Gaiman neben der generell außergewöhnlichen Idee beide Geschichten zu verknüpfen, auf eigene Gedankenspiele, die sich ganz wunderbar in die Szenerie einfügen und dem Ganzen einen tieferen Sinn verleihen. So ist es ein geistreicher Kniff „Schneewittchen“ als Retterin auszusuchen, da sie ja aufgrund ihrer eigenen Vergangenheit schon Erfahrungen mit Schlaf-Zaubern machen durfte und damit immun gegen die dunkle Magie ist, die in dem angrenzenden Reich um sich greift. Zum anderen ist die Maid in Not nicht das, was sie zu sein scheint. Wobei ich hier inhaltlich nicht weiter ins Detail gehen möchte, um Spoiler zu vermeiden und generell zu viel vorweg zu nehmen, da die Story mit ihren knapp über 70 Seiten recht schnell durchzulesen ist.
Aufgewertet wird diese ungewöhnliche Handlung durch detailverliebte schwarz-weiß Illustrationen von Chris Riddell, der als Mit-Autor des „New-York-Times“-Bestsellers „Die Klippenland-Chroniken“ bekannt ist und sein täglich Brot unter anderem als Cartoonist für den „Observer“ verdient. Seine Bilder strotzen dabei nur so vor kleinen Einzelheiten, die fast schon ihre eigene Geschichte zu erzählen scheinen. Das gilt dabei nicht nur für die Haupt- und Nebencharaktere, sondern auch für die tollen Hintergründe, die ebenfalls immer einen Zweck bei der Gestaltung erfüllen und nicht als obligatorischer Zusatz illustriert wurden. Farbliche Akzente werden dabei durchgehend nur durch golden eingefärbte Bild-Rahmen und Gegenstände gesetzt, die einem angenehm und nicht überflüssig ins Auge fallen.
Im Großen und Ganzen handelt es sich sich bei diesem Buch um eine angenehm frisch aufbereitete Version altbekannter Motive, die aber den Leser durch alle Altersstufen fesseln sollte. Zusätzlich stellt die Lektüre aufgrund der Bezeichnung als „Märchen“ ein ohnehin seltenes Vergnügen für die meisten Käufer dar, welches bei der gewohnten erzählerischen Qualität einen Neil Gaiman genutzt werden sollte. Nicht zu vergessen ist dabei, dass der Grundton ein für den Ursprungsstoff typischer ist und neben Humor auch eine Vielzahl düsterer Momente aufweist, die nicht zwangsläufig für ganz junge Kinder geeignet sind.
Alles in allem lohnt sich bei vorhandenem Interesse für den Stoff der Kauf und macht sich mit einem halb durchsichtigen Umschlag auch im Regal als ansehnlicher Eye-Catcher.
Hier könnt ihr das Buch erwerben!