The Death of Stalin

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Die meisten werden den Titel dieses Comics in einem anderen Zusammenhang gehört haben, als sie in den letzten Wochen eine Zeitung aufgeschlagen oder die Nachrichten angesehen haben. „The Death of Stalin“ wurde als Film in Russland verboten, weil dieser in den Augen der Zensoren (oder offiziell Kultusministerium genannt) einen Angriff auf die Kultur des Landes darstellen soll. Eine ziemlich gewagte Aussage, wenn man an einen paranoiden Massenmörder denkt, doch die im Zuge eines aufkeimenden Nationalismus voranschreitende Rehabilitierung scheint zu fruchten. Ein Sieg über den Faschismus überschattet dabei so sehr die unfassbaren Verbrechen Stalins, dass eine humoristische Kritik wohl in die Kategorie Landesverrat fällt.

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Was in dem Zusammenhang nur wenige wissen ist, dass der Film auf einem Comic von Fabien Nury und Thierry Robin aus dem Jahr 2010 basiert und nun (vermutlich im Zuge des kleinen Hypes um den Kino-Release) zum ersten Mal auf deutsch beim Splitter-Verlag erscheint.

Wie der Titel des Bandes schon verrät, dreht sich alles um die absurden Abläufe nach Stalins Tod, die sich primär aus dem Chaos innerhalb des kommunistischen Zentralkomitees speisen. Schon am 02.03.1953, dem Tag an dem der sowjetische Diktator einen Schlaganfall erleidet, der kurze Zeit später tödlich verläuft, spielen sich Szenen ab, die man sich kaum vorstellen kann. Leute wie der Innenminister Lawrenti Beria, der den Fokus der Geschichte großteils auf sich zieht, oder der spätere Generalsekretär Nikita Chruschtschow bieten sich dabei einen Schlagabtausch aus Intrigen, Denunziationen und menschlichen Abgründen, den man sich bei Personen in Machtpositionen generell nicht vorstellen möchte. Dabei wird überspitzt(?) die Absurdität eines zum Scheitern verurteilten Systems anhand von Situationen, wie der Bestimmung eines behandelnden Arztes dargestellt: So muss einstimmig beschlossen werden, welche Mediziner konsultiert werden sollen um sich um Stalin zu kümmern, wobei sich die Auswahl durch die zuvor denunzierten und daraufhin liquidierten jüdischen Top-Ärzte ziemlich verengt. Erschwerend kommt hinzu, dass die Entscheidung darüber vertagt(!) werden soll, da sich das Zentralkomitee vor der möglichen Reaktion Stalins fürchtet, sollte er doch überleben.

In diesem Sinne ist „The Death of Stalin“ eine bitterböse Realsatire, die unverblümt den Kampf in einem Machtvakuum beschreibt, dass selbst nach dem Tod des Sowjet-Diktators von diesem bestimmt zu sein scheint. Jede Handlung wird mit dem vermuteten Willen Stalins abgewogen, während Pläne geschmiedet werden die politischen Mitbewerber auszuschalten. Dagegen wird in kürzeren Sequenzen das Leben der einfachen Bürger gegengeschnitten, die im Glauben an die Unantastbarkeit ihres Führers nach Moskau pilgern, um ihren Tribut zu zollen. Dem folgt eine Überreaktion der Streitkräfte, die den Massenauflauf nicht mehr unter Kontrolle haben und nur noch mit der ihnen eingeimpften Gewalt eine Antwort finden. Durch diese Konstellation lacht man köstlich über die Mischung als Weltfremdheit und eiskalter Kalkulation, bis einem das Lachen im Hals stecken bleibt. Wüsste man nicht, dass die Geschichte auf wahren Begebenheiten beruht, könnte man sich gemütlich zurücklehnen und das Spektakel durch die Brille der Fantasie betrachten. Leider musste erstaunlich wenig hinzugedichtet werden. So wurden den Charakteren nur griffigere Züge verpasst oder Abläufe umstrukturiert, um Zusammenhänge besser begreifen zu können.

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Die Macher machen auch keinen Hehl um ihre Anpassungen und beziehen sich im Bonus-Teil des Bandes ganz explizit auf ihre Arbeitsweise, ihre Gedanken und die Entwicklung der Geschichte. Damit überlassen sie Nationalisten nicht das Feld und geben zeitgleich Interessenten für den Entstehungsprozess einen Einblick, der mehr zum Verständnis der Geschichte beiträgt. Hierbei merkt man Nury und Robin auf jeder Seite an, wie ernst sie die Thematik der beschriebenen Zeit nehmen und das der Humor daher einfach ein Stilmittel ist, um sich den schrecklichen Ereignissen besser annähern zu können.

In Mütterchen Russland sieht man das bekanntlich anders. Hier sieht man das Andenken an einen Nationalhelden beleidigt, da man über ihn lacht. Da wiegt der Sieg über Hitler-Deutschland offenbar mehr als die Opferzahlen seiner Säuberungsaktionen, die sich bezüglich der Höhe auf Platz zwei nach Mao Zedong befinden. Daher ist es umso wichtiger den Menschen mit solchen Werken zu signalisieren, dass die Realität durch eine ideologie nicht für nichtig erklärt werden kann. Ein Werkzeug dafür lässt sich in der Kunst finden und in den letzten Jahren umso deutlicher in der Comic-Branche. Wie sehr die Mächtigen die bildenden Künste dabei als Gefahr ansehen, lässt sich an Verboten umso deutlicher ablesen.

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Hier findet man daher nicht nur einen spannenden Polit-Thriller mit schwarzhumorigen Anstrich, sondern ein bebildertes Statement gegen eine geschichtsrelativierende Denkweise, die sich aus einem falsch verstandenen Nationalstolz speist.

Eine klare Empfehlung meinerseits, euch „The Death of Stalin“ ins Regal zu stellen!

The Death of Stalin
Verlag: Splitter 
Erschienen am: 25.02.2018
Autor: Fabien Nury
Zeichner: Thierry Robin
Format: Hardcover
Seitenzahl: 144 inkl. Bonus-Material
Preis: 29,80 EUR

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