Ist Hören das neue Lesen? – Audiobooks und Podcasts auf dem Vormarsch

Ein immer häufigeres Bild: Das Buch oder E-Book wird zur Seite gelegt und trotzdem verpasst man keine gute Geschichte.
Ich weiß nicht wie es euch geht, wenn es um das Lesen geht, aber ich gehöre in der Regel zu denjenigen, die sich am Anblick gefüllter Bücherregale ergötzen und nicht genug vom Geruch frisch aufgeschlagener Seiten kriegen können. Doch gehöre ich mit meinen vollen Schränken und dicken Schinken zu einer aussterbenden Art? Als zum Beispiel E-Books nicht nur als reines Luxusgut empfunden wurden und die Anbieter sich in einer Preisschlacht um die Kunden rissen, konnte man eine Ahnung davon bekommen, dass die Welt der Leser sich im Umbruch befindet.
Ich muss gestehen, dass ich als jemand, der sich schon seit jeher physischen Medien verschrieben hat (CDs, Vinyls und natürlich Bücher) ein mulmiges Gefühl bekommen habe, während diese Entwicklung in meiner unmittelbaren Umgebung stattfand. Doch je mehr ich mich mit dem neuen Status Quo beschäftigt habe, desto mehr begriff ich, warum so viele Leute sich anfingen umzuorientieren. Zeitgleich verstand ich, dass ich wohl ein Idealist bin, denn die Freude an einer Geschichte oder einem Musikstück ändert sich nicht durch die Art des Konsums, solange man sich auf das jeweilige Werk wirklich einlässt.
Eine weitere Entwicklung, die ich nicht kommen sah und die eigentlich sehr offensichtlich vor meinen Augen vollzogen wurde, war die des Hörbuch-Revivals. Während meine Klassenkameraden in der Grundschule gerne zu Kassetten (ja, die wurden in meiner Jugend auch noch benutzt) und CDs bekannter Kinder-Formate oder sündhaft teuerer Jugend-Romane wie Harry Potter griffen, stromerte ich immer noch im lokalen Buchladen herum. Eine andere Zielgruppe kam mir nie in den Sinn. Wer sah schon Erwachsene mit einem CD-Player oder Walkman auf der Straße die neuesten Bestseller genießen?
Und wie schon zuvor wurde ich Jahre später eines Besseren belehrt. Kaum begann die Game of Thrones-TV-Serie an Fahrt aufzunehmen, interessierten sich plötzlich, wie schon bei so vielen anderen Adaptionen, die Leute für das Ursprungsmaterial. Doch etwas war nun anders. Saßen früher einem die Menschen mit einem Buch gegenüber, haben sie heute ausnahmslos Kopfhörer im Ohr, aus denen nicht nur Musik läuft. So war ich erstaunt, als ein Arbeitskollege ein Buch nach dem andern verschlang, während ich mich im öffentlichen Nahverkehr und den seltenen Abenden mit einem freien Kopf in die Welt der sieben Königreiche stürzte. Wohlgemerkt nachdem ich mich entweder in der Uni über zahlreiche Bücher gebeugt oder im Job vor dem Bildschirm gesessen habe. Ihr könnt euch meine durchgehende Erschöpfung wahrscheinlich gut vorstellen. Als mir dann besagter Kollege nebenbei erzählte, dass er auf dem Weg zur Arbeit, beim Fitness und beim Haushalt ein Kapitel nach dem anderen abarbeitete, wurde mir dann plötzlich alles klar.
Es dauerte zwar noch ein wenig, bis ich mich selbst von alten Mustern lösen konnte (Musik-Streaming war bis vor nicht allzu langer Zeit in meinen Augen ebenfalls Teufelswerk), doch irgendwann lachte mich ein Audiobook zu Stephen Kings Dr. Sleep an (übrigens demnächst im Kino!) und meine zweigleisige Reise begann. Sammelte ich zwar nach wie vor schöne Kunstbände, die neuesten Veröffentlichungen meiner Lieblings-Autoren und so manch faden Klassiker durch die verpflichtende Uni-Lektüre, drangen nun immer mehr Geschichten an mein Ohr, die ich aufgrund meines vollen Alltags niemals hätte lesen können. Eine endgültige Erkenntnis dieses zeitsparenden Vorteils kam über mich, als ich gegen Ende meines längeren USA-Aufenthaltes Ende September die Nachricht bekam, dass ich gleich vier Bücher aus dem Bereich der Belletristik mit dem Thema Kannibalismus zu lesen hätte. Ein recht schwieriges Unterfangen, wenn der Kurs nur wenige Wochen entfernt ist und das eigene Zeitmanagement nicht auf solche Fälle ausgerichtet ist. Was also tun? Las und hörte ich bis dato nur zum reinen Vergnügen, kam es mir zunächst nichtmal in den Sinn zum Beispiel bei den bekannten Anbietern zu stöbern. Doch eine Freundin, die offensichtlich weitsichtiger ist, als ich es in solchen Situationen jemals sein könnte (danke, Isabell!), nahm mich an die Hand, um mir die Möglichkeit aufzuzeigen, die erwähnten Schmöker in kürzester Zeit durchzukriegen. Gesagt, getan. Und nun konnte ich mir selbst auf die Schulter klopfen, weil ich es zu Beginn des Semesters geschafft hatte vier Klassiker der Weltliteratur, von denen Life of Pi jedoch nur exklusiv auf audible zur Verfügung stand, in extrem kurzer Zeit „gelesen“ zu haben (die anderen waren übrigens Robinson Crusoe, Heart of Darkness und The Narrative of Arthur Gordon Pym).
Übrigens habe ich mich nach meinem Umstieg auf Musik-Streaming umfassend über die Folgen für den Abverkauf von CDs und Vinyls informiert, was es für den Konsumenten und den Markt bedeuten würde und vieles mehr. Aus irgendeinem Grund war dies im Bereich der Literatur jedoch nicht der Fall. Vielleicht wieder mein altes Festhalten an Gewohnheiten?

Das Jahr 2019: Noch nie gab es so viele Möglichkeiten ein Buch zu genießen. Immer mehr Menschen greifen dabei zu Smartphone und Kopfhörer.
Nun bin ich aber über diesen Artikel des audible magazins gestoßen, der bewies, dass ich in meiner Entwicklung nicht alleine dastehe und meine Vermutungen bezüglich der Marktentwicklung in großen Teilen der Wahrheit ziemlich nahe kommen. Aus der im Beitrag behandelten Hörkompass-Studie 2019, die das Hörverhalten der Deutschen in Bezug auf Hörbücher, Hörspiele und Podcasts untersucht, lässt sich herauslesen, dass es dieses Jahr sage und schreibe 23 Millionen(!!!) Hörer in Deutschland gibt, von denen knapp 8 Millionen täglich in Geschichten und Diskussionen abtauchen. Dabei ist nicht nur die überraschend große Anzahl an Konsumenten interessant, sondern vor allem die Entwicklung seit dem letzten Jahr. Dabei stellt man fest, dass es neben der zusätzlichen Million an Hörern seit 2018 (inklusive mir), nun doppelt so viele tägliche Konsumenten gibt.
Das bleibt natürlich nicht ohne Folgen, die Teils in direktem Zusammenhang zueinander stehen. So passiert aktuell das gleiche, wie vor ein paar Jahren in der Musikindustrie. Immer mehr jüngere Hörer steigen auf digitale Angebote um und lassen „alte“ Datenträger hinter sich. Neben breit gestreuten Kampagnen im Bereich der Display- und Print-Werbung treiben auch Personen des öffentlichen Lebens immer mehr Menschen zu Anbietern, die exklusiv digitale Angebote wie Podcasts, Hörbücher oder Hörspiele im Sortiment haben. Der wichtigste und auch für mich persönlich relevanteste Punkt war jedoch die Tatsache, dass ich mein Smartphone immer dabei habe, was zwangsläufig dazu führt, dass die Hemmschwelle der Wahrnehmung eines Angebots niedrig angesetzt ist. Durch diese Entwicklung war es nur eine Frage der Zeit, bis die CD, als das bis dato üblich genutzte Medium, abgelöst werden würde. 2019 ist es nun erstmal soweit und der Trend hat seit 2016 eine gefühlte 180° Drehung gemacht. Während vor drei Jahren noch fast 60% der Hörer zu CDs und nur knapp über 30% zu Smartphone und Tablet griffen, verhält es sich in diesem Jahr exakt andersrum.
Ein weiterer Vorteil bezieht sich auf mein zuvor erwähntes Problem der Erschöpfung. Mit der doppelten Belastung meiner Augen durch Arbeit und Studium, stelle ich vielleicht ein Extrembeispiel dar, doch eine gesteigerte Nutzung von Smartphones und Tablets führt zwangsläufig zu einem schnelleren geistigen und körperlichen Erschöpfungszustand. Ein direkter Vergleich aus meinem Leben: Vor ziemlich genau einem Jahr hatte ich einen anderen Literaturkurs, für den ich ebenfalls vier Bücher vorzubereiten hatte. Damals noch gänzlich dem Papier verfallen, habe ich es gerade so geschafft zweieinhalb Werke zu lesen, wenig von ihnen zu merken und in der Folge einen der sinnlosesten Lehrveranstaltungen meiner Uni-Laufbahn besucht zu haben. Ganz zu schweigen vom Stress, der damit einherging. Ein Jahr später mache ich Fitness, räume auf und fahre Bahn, ohne mein Smartphone eines Blickes zu würdigen. Zeitgleich läuft darüber die ein oder andere Geschichte oder ein interessantes Gespräch in einem Podcast. In dem Sinne eine Art „Digital Detox„, ohne es als solches wahrzunehmen. Bezüglich der erwähnten Orte befinde ich mich übrigens erneut in bester Gesellschaft: 76% der unter 40jährigen hören am liebsten in Bus, Bahn und Flugzeug. Es macht ja auch durchaus Sinn sich einem spannenden Thema zu widmen, statt zu versuchen dem Blick des Vordermanns auszuweichen und stoisch aus dem Fenster in einen dunklen Tunnel zu starren.
Und auch der letzte Punkt der Studie scheint wie nach meinem Leben geformt zu sein. Der typische Hörbuch-Hörer ist demnach jung und überdurchschnittlich gebildet. Diese Gruppe verfügt im Schnitt auch über ein hohes Einkommen. Dazu zähle ich aktuell definitiv nicht, aber dafür stimmt wieder ein anderer Punkt. So besorgen sich gut 79% der regelmäßigen Hörer nach wie vor mindestens ein klassisch gedrucktes Buch pro Jahr und damit rund 8% mehr als der Schnitt der Gesamtbevölkerung. Nun ist die Frage ob das Medium sich an seine potentiellen Nutzer angepasst hat oder ob die dafür genutzte Technik endlich reif genug ist, um von mehr Leuten genutzt zu werden. Ich tippe auf letzteres, denn wie schon beim Musik-Streaming ist es nicht ein Album, dass den Hörer dazu bewegt sich nach Alternativen zu CDs umzusehen, sondern die unmittelbare Verfügbarkeit. Zumindest war das ein für mich persönlich ausschlaggebendes Argument.
Wie sieht es dahingehend bei euch aus? Seid ihr ebenfalls „Misch-User“ wie ich oder habt ihr euch einer bestimmten Art von Medium verschrieben? Oder überlegt ihr euch aktuell umzusteigen? Lasst mir gerne hierzu einen Kommentar hier oder auf meinen Social Media Profilen da!