[Rezension] Disney Comics Library. Carl Barks’s Donald Duck. Vol. 1. 1942–1950 (TASCHEN)

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Wer Disney-Comics liebt, kommt an Carl Barks (1901–2000) nicht vorbei. Der Mann, der über viele Jahre nur als „der gute Künstler“ bekannt war, prägte das Entenhausen-Universum zwischen 1942 und 1966 wie kein anderer. Seine Geschichten, damals anonym veröffentlicht, zeugen bis heute von erzählerischer Tiefe, visueller Raffinesse und einem Humor, der Generationen überdauert hat.

Daher war es nur eine Frage der Zeit, bis sich der TASCHEN-Verlag seiner annimmt. Die Vorzeichen waren im Grunde schon da, doch wenn man die Praktiken von Disney kennt, die ihre klassischen Franchises hüten wie ihren Augapfel, blieb immer eine leichte Skepsis. Nachdem aber die ultimative Chronik zu Donald Duck veröffentlicht wurde, konnte man sich durchaus vorstellen, dass irgendwann ein ähnlicher Weg eingeschlagen werden könnte, wie er schon zuvor mit der Marvel Comics Library gegangen wurde. Und siehe da: Es klappt!

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Wie schon bei den erwähnten Titeln handelt es sich bei Disney Comics Library. Carl Barks’s Donald Duck. Vol. 1. 1942–1950 um ein XXL-Format von fast 4,5 kg Gewicht und satten 636 Seiten Inhalt. Doch nicht nur haptisch ist diese Veröffentlichung (die dem Titel nach nur den Anfang darstellt) überwältigend. Wie schon bei anderen Comic-bezogenen Bänden wurde auf sorgfältig restaurierte Reproduktionen zurückgegriffen, die in ihrer Authentizität den ursprünglichen Heften in kaum etwas nachstehen. Zwar wurde natürlich digital nachgeholfen, um das Lesevergnügen nicht durch ästhetische Mängel zu trüben, aber Haptik und Look sind, abgesehen vom offensichtlichen Überformat, sehr nah dran an der Realität von vor inzwischen über 75 Jahren.

Vorangestellt ist wie üblich ein Vorwort. Dieses Mal von Disney-Historiker Jim Fanning, der vor allem für diejenigen neue Erkenntnisse bietet, die sich bislang hauptsächlich mit den Geschichten selbst, aber weniger mit ihrem Schöpfer auseinandergesetzt haben.

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Wenn es um die Storys an sich geht, sind hier die meisten, aber nicht alle Werke versammelt, für die Barks in den ersten sieben Jahren seiner Arbeit an den Bewohnern von Entenhausen verantwortlich war. Zum einen sind die meist zehnseitigen Geschichten aus Walt Disney’s Comics & Stories nicht inkludiert. Zum anderen fehlt in den Nachdrucken aus der Comicheft-Reihe Four Color Comics die Geschichte „Voodoo Hoodoo“ aus dem Jahr 1949. Hintergrund ist mit Sicherheit die stereotype Darstellung eines afrikanischen Volkes, das in einen Konflikt mit Dagobert Duck gerät und ihm in der Folge einen Zombie auf den Hals hetzt.

Die Gründe für den Verzicht auf den Abdruck liegen zwar gewissermaßen auf der Hand, da der Titel auf dem internen Index von Disney steht (auch wenn er vor etlichen Jahren in der Carl Barks Library abgedruckt wurde). Doch wenn man bedenkt, dass sich der vorliegende Band definitiv nicht an Kinder richtet, sondern an Sammler und erwachsene Fans, bleibt ein bitterer Beigeschmack. Zwar hätte man nicht den Weg von Tim und Struppi gehen müssen, bei dem etwa das rassistische Werk Tim im Kongo ohne historische Einordnung vertrieben wird, aber es hätte sicher eine Möglichkeit gegeben, das Ganze kritisch eingehegt abdrucken zu können. Diese Rechnung geht mit Disney jedoch nicht auf.

Ähnliche Fälle gibt es auch im Bereich der Trickfilme: So ist es extrem schwierig, an die Propagandafilme aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs zu kommen. Man will sein Image eben schützen, aber wenn eine Retrospektive aufgelegt werden soll, wäre ein Überdenken der internen Regeln durchaus angebracht gewesen. Kennt man „Voodoo Hoodoo“ nicht, könnte man die fehlende Story leicht übersehen. Das gilt jedoch nicht für „Frozen Gold“ (Four Color Nr. 62; 1944) und „Land of the Totem Poles“ (Four Color Nr. 263; 1949). Beide Cover sind zu finden, weil andere von Barks gestaltete Abenteuer in den beiden Heften zu finden sind und abgedruckt wurden, die titelgebenden Geschichten selbst jedoch nicht. Auch hier kann man davon ausgehen, dass die zeitgenössische (aber dadurch nicht weniger stereotype und damit diskriminierende) Darstellung indigener Völker der Grund dafür ist.

Würde es sich um eine simple Neuauflage handeln, könnte man damit leben, aber im vorliegenden Fall? In meinen Augen sehr schade und eine verpasste Chance auf eine vollumfängliche Rückschau.

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Unabhängig davon findet man hier dennoch einen reichen Fundus an Geschichten, die nicht nur die technische Entwicklung von Barks abbilden, sondern den Grundstein für vieles legen, was bis heute Kanon ist. So ist der „Duck-Man“ für die Existenz essenzieller Charaktere wie die Panzerknacker oder Daniel Düsentrieb verantwortlich und vor allem für Dagobert Duck, der in „Christmas on Bear Mountain“ (Four Color Nr. 178; 1947) seinen ersten Auftritt feiern darf. Diesen kann man hier in allen Details und in Übergröße genießen.

Auch kultige Geschichten wie „Lost in the Andes“ (Four Color Nr. 223; 1949), die in Deutschland als „Im Land der viereckigen Eier“ bekannt ist, wurden abgedruckt und können endlich in ihrer ursprünglichen Pracht bewundert werden. Das gilt im Übrigen auch für die Originaltexte. Auf die legendären Übersetzungen von Erika Fuchs wurde bewusst verzichtet. Was für deutschsprachige Leser zunächst ungewohnt sein mag, eröffnet zugleich eine authentische Zeitreise in die Frühphase des Disney-Comic-Universums. Nostalgie spielt hier keine Hauptrolle. Im Mittelpunkt steht vielmehr die historische und künstlerische Bedeutung eines der größten Comic-Schöpfer des 20. Jahrhunderts.

Fazit: Disney Comics Library. Carl Barks’s Donald Duck. Vol. 1. 1942–1950 ist ein bibliophiles Ereignis. Der Band vereint editorische Sorgfalt, beeindruckende Gestaltung und kulturelle Relevanz auf höchstem Niveau. Trotz kleinerer inhaltlicher Lücken ist er für Sammler, Comic-Historiker und Liebhaber des Mediums ein absolutes Must-have und mit Sicherheit nur der Auftakt einer Reihe, die Maßstäbe setzt.

So oder so: Qualität und Quantität stimmen und ergeben somit eine klare Kaufempfehlung.

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Disney Comics Library. Carl Barks’s Donald Duck. Vol. 1. 1942–1950
Verlag: TASCHEN
Sprache: Englisch
Format: Hardcover, 28 x 39.5 cm, 4,30 kg
Seitenzahl: 636
Preis: 175 EUR

[Rezension] Marvel Comics Library. Hulk. 1962-1966 (TASCHEN)

Wenn man das Wort Superheld in den Mund nimmt, erscheinen vor dem geistigen Auge Bilder von Capes, Masken, hautengen Kostümen und markanten Gesichtern. Vor Wut verzerrte Grimassen, zerrissene Klamotten und eine Hautfarbe wie nach einer schlecht vertragenen Mahlzeit gehören jedoch für die Wenigsten dazu. Dabei sind es genau diese Merkmale, die eine der bekanntesten Figuren aus dem Hause Marvel auszeichnen und die auf die immens fruchtbare Zusammenarbeit von Stan Lee und Jack Kirby zurückgehen: Der unglaubliche Hulk!

Dabei war das grüne Alter Ego des Wissenschaftlers Bruce Banner zunächst eher im Horrorgenre verankert als im Umfeld der kurz zuvor vorgestellten Fantastic Four. Doch genau das macht die Figur so faszinierend und damit relevant. Als geistiges Kind seiner Zeit wird der Hulk aus der Zerstörungskraft einer experimentellen Bombe geboren und entspringt damit direkt den Ängsten des Kalten Krieges. Kaum ein anderer Charakter spiegelt nicht nur Trends des damaligen Comicmarkts wider, sondern auch den sozialen und politischen Zeitgeist. Könnte man das grüne Ungeheuer zunächst als grobschlächtige Unterhaltung abtun, offenbart ein genauerer Blick die Motive und Themen der 60er-Jahre. In diesem Sinne sind insbesondere die frühen Abenteuer des Hulk nicht nur als wichtige Frühwerke zu verstehen, sondern auch als Quellen, aus denen sich zahlreiche Erkenntnisse ziehen lassen.

Dementsprechend darf man sich als neugieriger Interessent – oder gar Fan – glücklich schätzen, dass der TASCHEN-Verlag seine Marvel Comics Library um einen weiteren Band ergänzt hat. Mit The Incredible Hulk Nr. 1–6 sowie Auftritten in Tales to Astonish wurde der Urknall dieser Figur nun in Papierform gegossen. Wie bereits bei den anderen Bänden der Reihe bekommt man keinen simplen Nachdruck serviert, sondern die besten verfügbaren Fassungen der Originalhefte, die durch modernste Retuschetechniken auf ein neues Niveau gehoben wurden.

Hinzu kommt erneut eine fundierte Einführung. Diesmal von Douglas Wolk, für den der Begriff „Experte“ beinahe untertrieben scheint. Er schreibt regelmäßig über Comics für The New York TimesTimeThe Washington PostRolling Stone und The Believer und lehrt sogar Comics History an der Portland State University. Eine bessere Möglichkeit, sich zu informieren, wird man kaum finden.

Auch in Sachen Haptik hat sich der Verlag nicht lumpen lassen. Um ein authentisches Lesegefühl ohne Qualitätseinbußen zu vermitteln, wurde erneut auf ein eigens für diese Reihe entwickeltes Papier zurückgegriffen, das an Zeitungspapier erinnert und die Farbigkeit der ursprünglichen Veröffentlichungen originalgetreu wiedergibt. Gleichzeitig kommen Cover und Rückseiten auf dickem, glänzendem Papier zur Geltung.

Daher bleibt abschließend zu sagen, dass es dem TASCHEN-Verlag mit großer Sorgfalt, historischem Feingefühl und beeindruckender Qualität gelingt einmal mehr ein Werk zu kreieren, das weit mehr ist als nur eine Sammlung alter Hefte – es ist ein Fenster in die Ursprünge eines Mythos.

Marvel Comics Library. Hulk. 1962–1966
Verlag: TASCHEN
Sprache: Englisch
Format: Hardcover, 28 x 39,5 cm, 4,92 kg
Seitenzahl: 670
Preis: 175 EUR

[Rezension] Walt Disneys Donald Duck. Die ultimative Chronik (TASCHEN) + UPDATE: SIGNIERSTUNDE IN BERLIN!

Kunst-Enthusiasten, die einen breiteren Horizont haben, als es die bildungsbürgerliche Blase zulassen möchte, wissen seit vielen Jahren, dass auch populäre und dem Mainstream nicht fremde Erzeugnisse einen hohen kulturellen Wert besitzen, der sich nicht in den Hängungen großer Pinakotheken aufwiegen lässt. Dazu gehören selbstverständlich Comics und Trickfilme, die in den letzten Jahrzehnten einen größeren Abdruck im weltweiten Bewusstsein hinterlassen haben, als es viele vermeintlich große Namen jemals könnten. Dabei soll hier keine wertende Unterscheidung getroffen werden, sondern nur die Feststellung, dass in der Wahrnehmung von Menschen ein Ungleichgewicht herrscht, die an Kunst Kriterien anlegen, die letztlich nur der Abgrenzung dienen.

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Ein grandioses Beispiel dafür, wie sehr sich dieser Personenkreis irrt, ist Walt Disney, der sein Publikum unabhängig von Alter, Geschlecht, (sozio)kulturellem Hintergrund oder Bildungsgrad stets zu begeistern wusste und der Welt einen Konzern hinterlassen hat, der diesen Geist in seinen Produktionen bis heute verfolgt. Noch zu Lebzeiten schufen er und seine Mitarbeiter Figuren und Geschichten, die auch nach fast einem Jahrhundert nichts an Relevanz und Qualität eingebüßt haben. Allen voran natürlich das Maskottchen des großen Ds: Micky Maus. Wer kennt ihn nicht, den pfiffigen Nager, dessen Konterfei aus unserem Leben nicht wegzudenken ist? Kein Wunder, dass der TASCHEN-Verlag vor gut sechs Jahren der Figur eine im wahrsten Sinne des Wortes ultimative Chronik widmete – ein Meilenstein, dem eigentlich nichts das Wasser reichen könnte.

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Wäre da nicht ein weiterer Charakter aus dem bunten Repertoire des kalifornischen Studios, der zwar nicht als Disney-Stellvertreter auftritt, aber in seiner Beliebtheit jede andere Kreation übertrifft: Donald Duck, der berühmteste Erpel der Welt, der dieses Jahr sage und schreibe seinen 90. Geburtstag feiert. Dabei blieb er sich immer treu, wirkte jedoch nie altbacken. Sein Humor war stets schelmisch, aber nie bösartig; sein Einfluss immens, aber nie ein Selbstläufer. Donald ist damit nicht nur eine sprechende Ente, die Kinder unterhält, sondern ein Symbol, das nie aufgehört hat zu strahlen. Er hat es also allemal verdient, dass man ihm ebenfalls ein Denkmal setzt, welches demnächst erhältlich ist: Walt Disneys Donald Duck. Die ultimative Chronik.

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Beginnend mit dem Kurzfilm The Wise Little Hen aus der Silly Symphony-Reihe vom 9. Juni 1934, in dem Donald zwar noch nicht seine endgültige Form, aber bereits seinen Charakter erhielt, über zahllose Comics und Serien bis hin zu Merchandise und Kuriositäten wird wirklich kein Aspekt seines Lebenswerks ausgelassen. Es wäre natürlich keine typische TASCHEN-Publikation, wenn nur eine bebilderte Chronologie vorläge. Dank des Zugangs der Autoren (Animations- und Comic-Historiker David Gerstein sowie Filmhistoriker J.B. Kaufman) zu den Disney-Archiven sowie öffentlichen und privaten Sammlungen kann der geneigte Leser in Sphären eintauchen, die so nie der Öffentlichkeit zugänglich waren. So wird nicht nur von unvollendeten Projekten berichtet; diese werden auch durch zutage geförderte Story-Skizzen, Hintergrundbilder und historische Fotos eingerahmt, die Fans ins Staunen versetzen. Das gilt natürlich auch für die realisierten Werke mit Donald. Dabei wird jede Facette und Entwicklungsstufe der Figur beleuchtet, die in Teilen einen Spiegel weltweiter Entwicklungen des 20. Jahrhunderts darstellt. Ob es nun die Interpretation des wirtschaftlichen Aufschwungs des Westens, des amerikanischen Selbstverständnisses oder sogar Oscar-prämierte Gegenpropaganda während des Zweiten Weltkriegs war (etwa der großartige Kurzfilm The Fuehrer’s Face von 1943) – Donald war immer zur Stelle.

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Auch die Menschen hinter der Figur finden ihren Platz in diesem Band. Vor allem der als “Duck Man” verehrte Carl Barks wird in den Fokus gerückt. Dabei geht es nicht nur um sein bekanntes Werk, sondern auch um Überraschungen für Kenner, die glauben, schon alles zu wissen. So findet man beispielsweise noch nie zuvor gesehene Storyboard-Zeichnungen des Künstlers. Auch internationale Kreative werden gewürdigt, denn wer in Deutschland kennt nicht die italienischen Meister, die vor allem das Lustige Taschenbuch füllten und füllen, oder Werke europäischer Nachbarn, die Donald zwar auf eigene Weise interpretierten, seinem Kern jedoch stets treu blieben. So wird deutlich, dass Donald Duck zwar ein US-amerikanisches Original ist, aber im Laufe der Jahre zum Weltbürger wurde. Kein Wunder, dass er sich rühmen kann, häufiger als jede andere Figur (abgesehen von Superhelden-Kollegen) in Comics und auf Kinoleinwänden präsent gewesen zu sein. Wenn das nicht Beweis genug für seine Relevanz ist, die über reines Entertainment hinausgeht, dann ist den Kritikern wohl nicht mehr zu helfen. Für alle anderen ist die vorliegende Chronik eine unverzichtbare Anschaffung, die in jedes Regal eines Donald-Fans gehört.

Walt Disneys Donald Duck. Die ultimative Chronik
Verlag: TASCHEN
Herausgeber: Daniel Kothenschulte
Autoren: David Gerstein, J.B. Kaufman
Sprache: Deutsch, Französisch, Englisch
Format: Hardcover, 28 x 39,5 cm, 5,09 kg
Seitenzahl: 564
Preis: 175 EUR

UPDATE: Am 7. März werden sich der Herausgeber Daniel Kothenschulte und der Disney-Zeichner Ulrich Schröder im Berliner Flagship-Store von TASCHEN persönlich die Ehre geben und Walt Disneys Donald Duck mit einer Unterschrift bzw. Zeichnung veredeln!

Veranstaltung: Signierstunde mit Herausgeber Daniel Kothenschulte und Comic-Illustrator Ulrich Schröder im TASCHEN-Flagship-Store in Berlin
Ort: Schlüterstraße 39, 10629 Berlin
Zeit: Freitag, 07.03.2025, 17 bis 18 Uhr

[Rezension] Marvel Comics Library. X-Men. Vol. 1. 1963–1966 (TASCHEN)

Viele Teenager, insbesondere diejenigen, die sich Produkten wie Comics oder Fantasy-Romanen widmen, neigen dazu in fremde Welten abzutauchen, da sie sich als Außenseiter verstehen. In diesem Sinne eine Gruppe an Menschen, die sich von der Mehrheitsgesellschaft missverstanden fühlt und sich daher beweisen muss. Die kreativen Köpfe bei MARVEL, allen voran Stan Lee, haben das schon früh verstanden und versucht ihren Leserinnen und Lesern Vorbilder und Helden an die Hand zu geben, mit denen sie sich identifizieren können. Darunter bis heute legendäre Charaktere wie Spider-Man, die Avengers oder die Fantastic Four. So unterschiedlich wie sie alle anmuten, haben sie doch eine Sache gemeinsam: Mit wenigen Ausnahmen erhielten sie ihre übermenschlichen Kräfte durch Experimente oder Unfälle und damit erst im Laufe ihres Lebens. Dadurch konnten Fans sich zwar dem heimlichen Wunschtraum hingeben eines Tages an ihrer Seite kämpfen zu können (wer weiß, wann man mal einer radioaktiven Spinne begegnet?) aber die einschneidenden Veränderungen in Körper und Geist eines Teenagers konnten nie abgebildet werden.

Genau hier setzte Stan Lee an, als er von MARVEL-Verleger Martin Goodman den Auftrag bekam eine weitere Comic-Reihe zu entwickeln. Aus der Not heraus, dass es sich als schwierig gestaltet einem ganzen Team Ursprungsgeschichten zu verpassen, beschloss er, dass seine neuen Figuren schon mit ihren Fähigkeiten, die sich erst mit dem Einsetzen der Pubertät zeigen, geboren werden sollten und damit als Mutanten galten. Eine bessere Metapher für den Übergang von Kindes- zu Erwachsenenalter hat es in der Comicwelt zuvor noch nicht gegeben. Damit waren die X-Men geboren (Menschen mit „x-tra“ Kräften). Zusätzlich wurde in den hitzigen 60ern sogar eine politische Dimension eingebracht. Eine Gruppe an Menschen, die aufgrund ihrer von Natur aus gegebenen Erscheinung gefürchtet, missverstanden und verfolgt wurde, hat bei nicht wenigen auch Assoziationen mit der Realität ausgelöst (Stichwort „Bürgerrechtsbewegung“). Trotz dieses vielversprechenden Ansatzes konnte die Reihe jedoch nicht an die hohen Auflagen der schon erwähnten Titel anknüpfen und spiegelte damit den „Underdog“-Status der Figuren wieder. Eventuell war die Welt noch nicht bereit für uniform auftretende Teams? Vielleicht galten die dargestellten Kräfte nicht als cool? Man wird es wohl nie erfahren. Trotzdem wurde hier die Basis für etwas gelegt, was sich als eine über Dekaden laufende Erfolgsgeschichte entpuppen sollte. Vor allem ab den 70er Jahren stoßen plötzlich Figuren wie Wolverine oder Storm hinzu, definieren das Bild der X-Men und steigern damit die Popularität, die bis heute anhält.

Doch ohne die Ursprünge, lassen sich spätere Erfolge trotzdem nicht erklären. Genau hier setzen TASCHEN erneut mit ihrer beliebten Marvel Comics Library-Reihe ein und liefern mit X-Men. Vol. 1. 1963–1966 den Lesern endlich ein weiteres Must-Have für Sammler, Comic-Historiker und offene Kunstinteressierte. Man darf sich wie schon bei den drei Vorgänger-Bänden auf die ersten 21 Hefte freuen, die in diesem Fall zwischen 1963 und 1966 veröffentlicht wurden. Erneut in enger Zusammenarbeit mit CGC entstanden, wurden für die XXL-Reproduktionen ausschließlich makellose Originalausgaben herangezogen, Seite für Seite fotografiert und mit moderner Retusche-Technik zum bestmöglichen Produkt verwandelt. Um den Retro-Charme zu steigern, wurde für die Comic-Seiten ein eigens dafür entwickeltes ungestrichenes Papier verwendet, welches die Haptik der Hefte aus den 60er Jahren simulieren soll. Ein wahres Fest für Enthusiasten, die dem Original nahe kommen wollen.

Inhaltlich lernt man die erste Generation an Helden und Schurken kennen, von denen einige uns bis heute erhalten geblieben sind. Cyclops, Beast, Professor Xavier, Magneto, Quicksilver, Scarlet Witch, Juggernaut und viele mehr werden von Stan Lee eingeführt und vom legendären Jack Kirby visuell einzigartig in Szene gesetzt. Den Kern bildet dabei auf lange Sicht die Konfrontation zwischen den X-Men und der Bruderschaft böser Mutanten, die jeweils eine eigene Vorstellung davon haben, wie die Stellung der Mutanten innerhalb der Gesellschaft aussehen soll.

Auch auf der Meta-Ebene tut sich in den den drei präsentierten Jahren einiges. Ab einem bestimmten Zeitpunkt überlassen nämlich Lee und Kirby den Platz zwei weiteren (zukünftigen) Giganten der Comic-Branche. Niemand Geringeres als der Zeichner Werner Roth und Autor Roy Thomas übernahmen den Titel und begannen damit eine langjährige gemeinsame Arbeit, die ihre Karrieren beschleunigen und ihren Status zementieren sollte.

Doch auch heute angefertigte Texte und kontextualisierte Originalzeichnungen, Fotos und Erinnerungsstücke finden Eingang in Marvel Comics Library. X-Men. Vol. 1. 1963–1966. In einem Vorwort nimmt Chris Claremont (16 Jahre lang Autor für X-Men) den Leser an die Hand und übergibt ihn an seinen Kollegen Fabian Nicieza, der in einem ausführlichen Essay die Entwicklung der Reihe über die ersten Jahre ihrer Entstehung nachzeichnet. Dadurch wird das Lesen nicht einfach zu einer simplen „Zeitreise“ für Nostalgiker, sondern ein Ritt durch Popkultur, Geschichte und Politik und damit genau das was erfolgreiche Comics ausmacht. Sie sind Unterhaltung und zeitgleich das Produkt eines Zeitgeistes. Genau dieser Punkt wird durch diese qualitativ in nichts nachstehenden Publikation mehr als deutlich unterstrichen. In diesem Sinne handelt es sich bei dem Band nicht einfach um eine Neuauflage für diejenigen, die eine hübsche Kopie im Schrank stehen haben wollen, sondern um ein Stück Zeitgeschichte, welches das Herz von Fans und alle jenen die es noch werden wollen höher schlagen lässt. All jene, für die Geld zumindest in solchen Fällen eine untergeordnete Rolle spielt, können außerdem zu einer auf 1.000 Stück limitierten Version greifen, die in Kunstleder gebunden und eingefasstem ChromaLuxe-Aluminiumprint im Schuber geliefert wird. Alle anderen können mit etwas Glück auch ein Exemplar der ersten Auflage (Famous First Edition) ergattern. Diese ist nummeriert und macht sich nicht minder hübsch in einer gut sortierten Sammlung.

Marvel Comics Library. X-Men. Vol. 1. 1963–1966
Verlag: TASCHEN
Sprache: Englisch
Format: Hardcover, 28 x 39.5 cm, 4.67 kg
Seitenzahl: 666
Preis: 150 EUR

[Rezension] The Fantastic Worlds of Frank Frazetta (TASCHEN)

Als jemand, der Popkultur in all ihren Facetten und Entwicklungen verfolgt und auch die damit zusammenhängende Historie einbezieht, war ich fast erstaunt zu erfahren, dass es bis dato keine vollumfassende Monografie zu Frank Frazetta gab, die diese Bezeichnung auch verdient. Selbstverständlich wurden Bände über ihn und sein Werk publiziert, ihm ganze Kapitel zu Kunst-Strömungen im 20. Jahrhundert gewidmet, aber eine Rückschau, die der 2010 verstorbenen Legende gerecht wird, gibt es erst seit kurzem bei TASCHEN. Überraschenderweise der selbe Verlag, der schon 1999 ein Buch mit 164 Seiten zu dem Mann herausbrachte, welches aber im direkten Vergleich zum neuesten Titel aus dem Hause, so gut wie verblasst.

Um auch all jene ins Boot zu holen, die mit dem Namen nichts anfangen können, sei gesagt, dass auch sie definitiv Bilder des in Brooklyn geborenen Künstlers kennen. Vor allem die kraftvollen Ölgemälde von Tarzan, Conan, Vampirella und dem legendäreren Death Dealer. Die Interpretation von Conan definiert sogar bis heute den Look & Feel von Filmen, Comics und anderweitigen Formen der Verwertung. Doch auf den 468 Seiten des knapp 5 kg schweren Buchs findet man nicht nur Ikonen, sondern unzählige weitere Arbeiten aus der gesamten Karriere des Amerikaners. Angefangen mit den ersten Gehversuchen im Bereich der grafischen Literatur als Teenager, über Arbeiten für legendäre Publikationen wie EC-Comics bis hin zu legendären Plakat- (z.B. Was gibt’s Neues Pussy?, Der Mann der niemals aufgibt oder From Dusk Till Dawn) und LP-Cover-Motiven (z.B. Molly Hatchet, Wolfmother oder Nazareth) ist die unfassbar lange Karriere von Frank Frazetta in tiefstem Detail illustriert und ausgeleuchtet. Hinzu kommen informative Texte des Experten Dan Nadel und des Künstlers Zak Smith, die vier zunächst chronologisch und später thematisch geordnete Kapitel einleiten. Dementsprechend findet man mit The Fantastic Worlds of Frank Frazetta nicht nur ein visuell opulentes Werk vor, sondern einen Fundus an Informationen, der nicht nur Wissen vermittelt, sondern auch auch das schwer zusammenzuführende Oeuvre perfekt einzuordnen weiß.

Sollte einem der Zeichner und Maler auch mit diesen Informationen nichts sagen, kann es sein, dass die Rezeption seiner Bilder insbesondere für jüngere Generationen teils schwer zu verdauen ist. Oder wie der Mann es selber formulierte: „Ich bin sehr körperfixiert. In Brooklyn kannte ich Conan, ich kannte Typen, die exakt so drauf waren wie er“. Das heißt im Klartext, dass man hier zunächst einmal auf massive, bedrohliche und Testosteron-gesteuerte Fantasy-Helden trifft, die man heutzutage wohl in ihrem Auftreten als toxisch bezeichnen würde. Auch im Hinblick auf die Darstellung von Frauen wurden hypersexualisierte Körper mit feinen Gesichtszügen, muskulösen Oberschenkeln, gebärfreudigen Hüften, hervortretenden Brüsten und Hintern auf Papier und Leinwand gebracht. Bedenkt man jedoch die Sozialisation und die Zeit in dem Frazetta aufwuchs, relativiert sich die Empörung. Er wurde 1928 als Sohn einer sizilianischen Familie in Brooklyn geboren. Er war Profi-Baseballer in der amerikanischen Liga, Kleinkrimineller und notorischer Verführer mit dem Aussehen eines Filmstars und außergewöhnlichen Begabungen. Seine Umgebung ließ keine andere Sichtweise als „nur der Stärkste überlebt“ zu. Damit einher gingen selbstverständlich Darstellungen von Körpern, die einem geradezu animalischen Idealbild entsprachen. Es sollte jedem ernsthaft an Kunst interessiertem Leser aber fern liegen, aus der Gegenwart heraus Werke der Vergangenheit losgelöst zu kritisieren. Trotzdem soll an dieser Stelle auf die teils delikate Visualisierung von Frank Frazettas Fantasie aufmerksam gemacht werden, die in jeder Hinsicht wegweisend ist, für zeitgenössische Augen aber gewöhnungsbedürftig sein kann.

Alles in allem, handelt es sich bei The Fantastic Worlds of Frank Frazetta (in Zusammenarbeit mit der Frazetta-Familie und den wichtigsten Sammlern erstellt) in meinen Augen um eine Pflichtanschaffung für all jene, die verstehen wollen, wie Popkultur verwoben ist, wie Impulse zur richtigen Zeit am richtigen Ort gesetzt und sich die Reputation von KünstlerInnen in diesem Kontext verändern kann. So hat Frazetta einst billige Pulp-Romane mit Covern bestückt, während 2019 sein Gemälde Egyptian Queen für unfassbare 5,4 Millionen Dollar an den Höchstbietenden einer Auktion in Chicago ging. Dieser Sprung innerhalb von einem halben Jahrhundert sollte schon Grund genug für einen Blick in das Schaffen des Malers sein. Sollte man zeitnah seine Bestellung auf der Website von TASCHEN tätigen, hat man zudem das Glück eines der nummerierten 6.000 Exemplare der sogenannten Famous First Edition sein Eigen nennen zu dürfen.

The Fantastic Worlds of Frank Frazetta
Verlag: TASCHEN 
Sprache: Englisch, Deutsch, Französisch
Herausgeberin: Dian Hanson
Autoren: Dan Nadel, Zak Smith
Format: Hardcover, Leineneinband mit Schutzumschlag, 29 x 39.5 cm, 4.87 kg
Seitenzahl: 468 
Preis: 150 EUR

[Rezension] Marvel Comics Library. Fantastic Four. Vol. 1. 1961-1963 (TASCHEN)

Man kann es sich heutzutage kaum vorstellen, aber Superhelden waren über einen langen Zeitraum alles andere als en vogue. In den Nachkriegsjahren wurden allerhand Genres im Medium Comic bearbeitet – Romanzen, Horror, Krieg…aber unsere allseits beliebten Spandex-Hosen-Träger? In der Versenkung verschwunden oder wie Batman in Pulp-Interpretationen aufgegangen. Man konnte durchaus davon ausgehen, dass Figuren wie Batman und Superman über kurz oder lang zu Randerscheinungen der Jugend- und Popkultur werden würden. Wären da nicht aus heutiger Sicht zwei Männer mit Legendenstatus, die „das Haus der Ideen“ – auch als Marvel Comics bekannt – ab Beginn der 60er Jahre zu der Größe geführt haben, die es heute hat.

In einer Hauruck-Aktion, die das Genre zu neuen Höhenflügen befähigen sollte, schufen niemand Geringeres als Autor Stan Lee und Ausnahmekünstler Jack Kirby ein Team an Superhelden, das den Boden für viele weitere Geschichten, wie z.B. Spider-Man, die Avengers oder die Wiedergeburt von Captain America ebnen sollte. Um diesen Urknall gebührend in Szene zu setzen, hat TASCHEN sich nicht zweimal bitten lassen und mit Fantastic Four. Vol. 1. 1961-1963 einen weiteren Band ihrer beliebten Marvel Comics Library hinzugefügt.

Inhaltlich erwarten den Leser die ersten 20 Hefte um das Team aus Reed Richards / Mr. Fanatastic, Sue Storm / Invisible Girl, Johnny Storm / The Human Torch und Ben Grimm / The Thing, die bei einem Raketen-Einsatz im Weltraum von kosmischen Strahlen getroffen werden und dadurch zu ihren Superkräften und zwangsweise Alter Egos kommen. Das besondere an Konstellation und Erzählweise sind die emotional komplexen Charakterisierungen, die so gar nichts mit stupiden Hau-Drauf-Helden, samt schwarz/weiß-Denke zutun haben. Hier fühlt sich niemand zum Halbgott berufen, sondern zweifelt im Fall der Fälle, ob die übermenschlichen Eigenschaften eher Fluch oder Segen sind. Auch der übliche Ausgangsort der Geschichten ist nicht in einer fremden Welt, sondern mitten in New York City zu finden. Die Stadt die niemals schläft und wohl eine Art Brutstätte für „außergewöhnliche“ Mitmenschen darstellt.

Um die Hefte in ihrem ursprünglichen Glanz erstrahlen zu lassen, kam es erneut zu einer engen Zusammenarbeit mit Marvel und der Certified Guaranty Company (CGC). Das zweite Unternehmen kennen die Sammler unter euch. Für die Unwissenden: CGC bewertet den Zustand (unter anderem) von Comic-Heften und versiegelt diese in Plastik-Hüllen, um den zugeschriebenen Wert beizubehalten. So werden auch die für Millionenbeträge gehandelten Erstauftritte von den Aushängeschildern der großen Verlage unter den Hammer gebracht. Dementsprechend besteht hier ein Zugang zu den am besten erhaltenen Druckexemplaren weltweit. Diese wurden geöffnet und für den höchstmöglichen, authentischen Lesegenuss für die TASCHEN-Ausgabe aufbereitet. Und nicht nur das: Auch Werbeanzeigen, Leserbriefe, Front- und Backcover im Hochglanzformat treten durch ihre Übergröße ins Scheinwerferlicht, während die Storys im Offsetdruck auch haptisch eine Zeitreise ermöglichen.

Neben den Comics selbst, gibt es erneut ein vorangestelltes Essay und einleitende Worte von Hochkarätern. Ersteres durfte der bekannte Marvel-Autor Mark Waid beisteuern, während der ehemaligen NASA-Astronaut Mike Massimino den Leser beim ersten Aufschlagen des Buches an die Hand nimmt. Hinzu gesellen sich auf insgesamt 700 Seiten Originalgrafiken, Fotografien und andere Raritäten.

Wie schon bei den beiden Vorgängerbänden, ist die Anschaffung für Fans mit kunsthistorischem Interesse ein Muss. Ob sich ein Lesegenuss für Neueinsteiger einstellt, sei jedoch dahingestellt. Wie bei anderen Produkten dieser Art, die vor über 60 Jahren veröffentlicht wurden, ist der Erzähl- und Zeichenstil in seiner Qualität zwar unverkennbar, aber für zeitgenössische Comic-Leser potentiell gewöhnungsbedürftig. Es hat sich allein schon in den letzten 20 Jahren so viel auf diesem Feld getan, dass auch Veröffentlichungen aus den 90ern altbacken wirken können. Daher sei Fantastic Four. Vol. 1. 1961-1963 in erster Linie Enthusiasten, kunsthistorisch Interessierten und Sammlern ans Herz gelegt. Zählt man sich zu mindestens einer der Gruppen, gehört dieser Band zwangsweise in das eigene Regal, welches definitiv um zukünftige Veröffentlichungen im Rahmen der Marvel Library erweitert gehört.

Marvel Comics Library. Fantastic Four. Vol. 1. 1961-1963
Verlag: TASCHEN 
Sprache: Englisch
Autoren: Mark Waid, Mike Massimino, Stan Lee
Künstler: Jack Kirby
Format: Hardcover, 28 x 39,5 cm, 4,77 kg
Seitenzahl: 700 
Preis: 150 EUR

[Rezension] Marvel Comics Library. Avengers. Vol. 1. 1963-1965 (TASCHEN)

Jeder Marvel-Fan weiß um die Ursprünge des „zweiten Frühlings“ des Verlags, der mit den Fantastic Four im Jahr 1961 begann und in den Folgejahren mit weiteren Ikonen wie Spider-Man, Ant-Man, Doctor Strange oder Iron Man weiter aufblühte. Zwar waren einige Serien, wie es damals nicht unüblich war, ein Flop, aber das hinderte Künstler und Autoren nicht mit pfiffigen Ideen auch ehemalige Rohrkrepierer in ein neues Rampenlicht zu rücken. Erstaunlicherweise gehörten dazu auch Titel wie der Hulk. Mit diesem Portfolio an fantastischen, schrägen, mutierten aber übergreifend mutigen Helden konnte man nun ab einem bestimmten Punkt so hantieren, dass Leser zwangsläufig auf Charaktere stießen, die sie noch nicht kannten. Stichwort: Gastauftritte. Mal wollte Spidey den Fantastic Four beitreten, mal wurden ehemals befreundete Cape- und Spandex-Träger zu Feinden usw. Doch Stan Lee sah in diesem Gewimmel an übernatürlichen Persönlichkeiten ein größeres Potential, welches es zu entfalten galt.

Deswegen setzte er sich mit dem legendären Zeichner Jack Kirby zusammen und versammelte mit ihm  Iron Man, Ant-Man, The Wasp, Thor und Hulk, um die Avengers zu gründen. Ein Zusammenschluss aus Superhelden, die weniger familiäre als „berufliche“ und moralische Bande miteinander teilten. Zwar gab es hier und da Querelen, Aus- und Einstiege sowie Seitenwechsel aber zusammen schafften sie es immer wieder die größten Superschurken des Universums in die Flucht zu schlagen. Der größte Coup war jedoch einem Charakter neues Leben einzuhauchen, der Jahre zuvor in der Versenkung verschwunden war: Captain America wurde samt einer Erklärung für seine jahrzehntelange Abwesenheit erneut eingeführt und wurde zum Teil der Avengers. Ein Umstand, der bis heute mit Unterbrechungen und Alternativ-Versionen aufgebrochen, aber im Kern Bestand hat.

Genau diese Momente kann man nun dank TASCHEN so authentisch und umfangreich erleben wie nie zuvor, da der Verlag nach Marvel Comics Library. Spider-Man. Vol. 1. 1962-1964 den zweiten Band ihrer brandneuen Marvel Comics Library-Reihe herausgebracht hat: Avengers. Vol. 1. 1963–1965. Wie schon beim Erstling, wurden auch hier die ersten 20 Ausgaben im XXL-Format nachgedruckt. Hierbei wurden in Zusammenarbeit mit Marvel und der Certified Guaranty Company ausschließlich die makellosesten Hefte herangezogen, die der Markt hergibt. Garniert mit modernster Retusche-Technik wird den Lesern schlussendlich eine Qualität präsentiert, die ihresgleichen sucht. Eine visuell bessere, aber zeitgleich authentischere Fassung der ersten Avengers-Hefte gibt es de facto nicht. Um das „reale“ Gefühl aus den 60ern noch greifbarer zu machen, wurde zusätzlich auch die Auswahl des Papiers beachtet. So erstrahlen Cover auf Hochglanzpapier, während einem originalgetreue Rasterpunkte von einem mattem Offsetpapier entgegen springen. Außerdem wurde darauf geachtet, dass auch Leserbriefe und Werbeanzeigen vollständig abgebildet sind, um wirklich jedem Aspekt der Orignal-Vorlage gerecht zu werden.

Auf den 630 Seiten kommt man zudem nicht nur in den Genuss der angesprochenen Geschichten, sondern wird auch mit einem Vorwort von Kevin Feige, seines Zeichens Präsident der Marvel Studios, bedacht. Historisch eingehegt wird der Inhalt darüber hinaus von Autor und Eisner-Award-Gewinner Kurt Busick. Selbstverständlich wird diese kleine Zeitreise mit Originalzeichnen, seltenen Fotos und Dokumenten bebildert.

Wenn es um den Spaß am Lesen der ersten 20 Hefte geht, so muss man sich vor Augen halten, was man hier in den Händen hält. In erster Linie handelt es sich um popkulturell und kunsthistorisch relevante Reproduktionen von Geschichten, die die Basis für eines der erfolgreichsten Franchises aller Zeiten gelegt haben. Sowohl im Kontext der gleichnamigen Filme, als auch im Hinblick auf die weitere Verwertung der Helden dieses Titels. Wenn es um das ausschließliche Storytelling geht, wird der Spaß durch die Lesegewohnheiten eines jeden Käufers bestimmt. Konsumiert man primär Werke der letzten 20 Jahre, wird einem Vieles zwangsläufig altbacken und steif vorkommen, was aber nicht dazu führen muss, dass man keine Lust hat die Abenteuer der Avengers zu verfolgen, um die vielen ersten Auftritte und Konfrontationen für sich selbst erleben zu dürfen. Dies sei vorausgeschickt, da mich Leser nach der letzten Review des Spider-Man Bandes explizit nach diesem Thema gefragt haben.

Hat sich diese Frage jedoch geklärt, spricht nichts gegen eine Anschaffung von Marvel Comics Library. Avengers. Vol. 1. 1963–1965. Es ist nämlich nicht nur ein Sammlerstück für Fans der Charaktere, sondern für jeden Comic-Interessenten und Popkultur-Geek, der die Ursprünge heutiger Auswüchse persönlich ergründen möchte. Sollte man es sogar noch etwas exklusiver mögen, ist ab Ende Juli eine exklusive „Collector’s Edition“ verfügbar, die zwar mit 500€ zu Buche schlägt, aber eine edle Kunstlederbindung, einen eingefasstem ChromaLuxe-Aluminiumprint und einen wunderschönen Schuber bietet. Wer außerdem nie genug vom Marvel-Universum haben kann, der darf sich jetzt schon auf weitere angekündigte Bände aus der Marvel Library freuen: die Fantastic Four und Captain America stehen schon in ihren Startlöchern bereit!

Marvel Comics Library. Avengers. Vol. 1. 1963–1965
Verlag: TASCHEN 
Sprache: Englisch
Autoren: Kurt Busiek, Kevin Feige
Format: Hardcover, 28 x 39,5 cm, 4,44 kg
Seitenzahl: 630 
Preis: 150 EUR

[Rezension] Hokusai. Sechsunddreißig Ansichten des Berges Fuji (TASCHEN)

Es gibt Gemälde, die losgelöst von ihrem Entstehungskontext oder dem Vorwissen der Betrachter Assoziationen wecken und Fantasien beflügeln. Geht es noch einen Schritt weiter, exisiteren besagte Werke sogar im popkulturellen Gedächtnis. Dazu gehört definitiv „Die große Welle von Kanagawa“ von Katsushika Hokusai (1760-1849), die weltweit an Wänden, auf Postern, Merchandise-Artikeln und vielem mehr zu sehen ist. Diese Kunst-Ikone scheint allgegenwärtig zu sein und ist doch in ihrer Kontextualisierung für die meisten nicht greifbar. Wer kann sich bei dem Gedanken an das Motiv an die Fischerboote oder den Berg Fuji im Hintergrund erinnern?

Umso schöner ist der Umstand, dass der TASCHEN-Verlag sich der Serie an Farbholzschnitten mit dem Titel „Hokusai. Sechsunddreißig Ansichten des Berges Fuji“ angenommen hat, um der Welt den Zusammenhang zwischen Künstler, Entstehung und Popularisierung der Motiv-Reihe, in der sich die besagte „große Welle“ befindet, näher zu bringen. Wobei zunächst geklärt werden sollte, warum der Berg Fuji so besonders ist und es kein Zufall war, als er 2013 zum Weltkulturerbe ernannt wurde. Neben der fast schon malerischen Pracht, genießt der Ort eine seit vielen Jahrhunderten mystische Anziehungskraft, von der zahllose Schreine und Legenden zeugen. So galt das Besteigen des Fuji im Buddhismus als Ausdruck des Tiefen Glaubens. Als ein solcher Ankerpunkt japanischer Tradition ist der Berg keine moderne Manifestation fernöstlicher Sehnsucht, sondern Teil der urtümlichen Identität dieses Landes. Das sieht man nicht zuletzt an der im vorliegenden Band präsentierten Bilderreihe, die zu einem Zeitpunkt angefertigt wurde, als Japan noch isoliert von der Außenwelt für sich sein konnte. Kein westlicher Einfluss trieb Hokuasi an, sondern die Nachfrage der lokalen Bevölkerung, die sich seine Bilder auch leisten konnte, wenn sie nicht zur höheren Schicht angehörte.

Revolutionär war die Anfertigung aber auch so. Schon zu Lebzeiten berühmt und gefragt, wagte sich Hokusai an eine für die damaligen Umstände ungewöhnliche Perspektive, indem er die dargestellten Menschen in den Hintergrund rückte und sie zum Beiwerk der Naturgewalten und Landschaften machte. Offensichtlich kam diese Herangehensweise so gut an, dass der Titel schlussendlich irreführend ist. Aufgrund der hohen Nachfrage wurden nämlich ganze 46 Holzschnitte angefertigt, die allesamt in dem für TASCHEN typischen XXL-Band zu finden sind.

Um das Erlebnis beim Betrachten der beeindruckenden Werke außerdem noch authentischer zu Gestalten, hat es sich der Verlag erneut nicht nehmen lassen zur traditionell japanischen Fadenheftung zu greifen und die Bilder auf ungeschnittenem, einseitig bedruckten Papier abzubilden. Wer zum Beispiel schon „Hiroshige & Eisen. Die neundsechzig Stationen des Kisokaido“ (ebenfalls bei TASCHEN erschienen) zuhause stehen hat, weiß um die Besonderheit dieser Bindung.

Des Weiteren bleibt es nicht einfach nur beim Genuss von Meisterwerken, sondern man wird als Leser an die Hand genommen, um die Entstehung der einzelnen Holzschnitte zu verstehen, die Inhalte einzuordnen und bisweilen Variationen des gleichen Motivs zu erkennen. Dafür zuständig ist Herausgeber und Autor Andreas Marks, der ostasiatische Kunstgeschichte an der Universität Bonn studierte und der mit einer Dissertation in Japanologie zu Schauspielerdrucken des 19. Jahrhundert promoviert. Außerdem war Marks von 2008 bis 2013 Direktor und Chefkurator des Clark Center for Japanese Art im kalifornischen Hanford. Seit 2013 ist er Mary Griggs Burke Curator of Japanese and Korean Art, Leiter der Abteilung für japanische und koreanische Kunst sowie Direktor des Clark Center for Japanese Art am Minneapolis Institute of Art. In diesem Sinne kann man sich auf die detaillierte Ausführung eines wahren Experten verlassen.

Genau aufgrund dieser Kombination aus beeindruckender Gestaltung der Reproduktionen und einer elaborierten Aufbereitung von Hintergrundinformationen darf „Hokusai. Sechsunddreißig Ansichten des Berges Fuji“ in keinem Regal eines Liebhabers japanischer Kunst fehlen.

Hokusai. Sechsunddreißig Ansichten des Berges Fuji
Verlag: TASCHEN 
Mehrsprachige Ausgabe: Englisch, Deutsch, Französisch 
Autor: Andreas Marks
Format: Hardcover, 44 x 30 cm, 3,88 kg
Seitenzahl: 224 
Preis: 125 EUR 

[Rezension] Japan 1900 (TASCHEN)

Für viele Menschen, dabei insbesondere Europäer, ist Japan immer noch ein geheimnisvoller Ort am anderen Ende der Welt, der vertraut und doch so fremd wirkt. Als halbwegs kulturaffiner Mensch ist man oft mit den bekannten Exporten Nippons wie Manga, Tee und Sushi konfrontiert. Dabei entsteht das Bild eines Landes, welches oft mehr einer Fantasie, als der Realität entspricht. Die Gründe dafür liegen hierbei weiter in der Vergangenheit als man zunächst annehmen möchte. In der Regierungszeit des Kaisers Meiji (1867-1912) öffnete Japan nach einer zweihundertjährigen Isolation 1868 seine Tore zur Welt und erlaubte damit einen Blick in eine Gesellschaft, die sich losgelöst von politischen und eurozentrischen Trends entwickelte und damit per se ab diesem Punkt ein Faszinosum bildete. In die goldene Zeit des Reisens fallend, gab es nun plötzlich einen Ort, den man ab 1869 in nur 40 Tagen durch den Suez-Kanal oder ab 1900 in nur 17 Tagen durch die transsibirische Eisenbahn erreichen konnte. Man bedenke, dass bis zu diesem Zeitpunkt eine Reise von über einem Jahr eingeplant werden musste, um an dieses Ziel zu kommen. In dem Sinne gleich mehrere Zufälle, die sich zeitlich überlappten und in ihrer Kombination anfingen das Bild Japans zu formen, welches wir bis zu einem gewissen Grad auch heute in uns tragen.

© Former Collection Marc Walter/Photovintage France; Berg Fuji von Suzukawa aus gesehen (1895)

Eben diesem Zeitraum widmet sich der brandneue Prachtband Japan 1900 von TASCHEN, der mit knapp 5,8 kg und einem Umfang von 536 Seiten die unfassbare Masse von mehr als 700 Vintage-Fotografien beinhaltet, die ursprünglich in schwarz-weiß aufgenommen und nachträglich im sogenannten Photochromdruck-Verfahren eingefärbt wurden. Wie schon bei Deutschland um 1900 – Ein Porträt in Farbe und weiteren Veröffentlichungen in dem Stil, sorgt die Färbung dafür, dass die präsentierten Bilder weniger entrückt erscheinen und trotz eindeutiger Stilisierung mehr in der Realtät verankert wirken. Nach wie vor muss man sich fast schon kneifen, wenn man Aufnahmen aus den 1880ern sieht und sich bewusst macht, dass hier die Welt vor 140 Jahren abgedruckt wurde.

© Former Collection Marc Walter/Photovintage France; Yokohama, Kirschblütenbäume bei Nogeyama, Kusakabe Kimbei (1890)

Dabei beschränken sich die beiden Autoren Sebastian Dobson und Sabine Arqué nicht auf die simple Präsentation von Ansichten aus der Meiji-Zeit, sondern ordnen die Bilder thematisch in Kapiteln und aufschlussreichen Kommentaren so ein, dass man gefühlt wie durch einen Reiseführer aus vergangenen Zeiten blättern kann und Sehnsucht nach einem Ort entwickelt, der in dieser Form nicht mehr existiert. Das liegt mitunter an der Tatsache, dass der Westen zu dem Zeitpunkt nur langsam durch Touristen, wirtschaftliche Verflechtungen und politische Öffnung in das Kaiserreich einsickerte. Dadurch erhält man einen Blick auf eine vorindustrielle Nation, die insbesondere im Kontrast zu rauchenden Schornsteinen, Akkordarbeit und aufkommenden Klassenkämpfen geradezu beruhigend wirkt. Natürlich werden bei Fotografien, die primär für den Reisesektor angefertigt wurden die Schattenseiten entweder ausgeblendet oder in einen romantisierenden Rahmen eingehegt. So werden schweißtreibende Feldarbeit und Prostitution sicherlich nicht dem ländlichen Charme bzw. dem edlen Look entsprochen haben, der einem in diesem Buch begegnet. Das gilt auch für quasi anthropologische Abbildungen der Ainu, die indigenen Ureinwohner Japans, die im Laufe der Zeit bis auf die nördliche Insel Hokkaidō zurückgedrängt wurden. Nicht zu vergessen sind auch die erste Schritte auf dem Weg zur Imperialmacht, die sich fast in einer Zwangsläufigkeit durch die Öffnung gen Westen ergaben. Gut zu erkennen an zusätzlich abgebildetem Material wie Postkarten, Speisekarten, Gepäcketiketten und vielem mehr. So erschließt sich aus der Betrachtung nicht zwangsläufig die Tragik hinter den Abbildungen. Dafür helfen entsprechend die erwähnten Texte dabei Hintergründe zu erforschen und historische Zusammenhänge zu begreifen. So kann man ästhetisch atemberaubenden Landschaften, exotische Kleidung und alte Traditionen aufnehmen, ohne Gefahr zu laufen einer Verklärung aufzusitzen.

© Former Collection Marc Walter/Photovintage France; Sumo-Kämpfer beim Ekōin Tempel, vermutlich von Adolfo Farsari (1841–98) (1886)

Nichtsdestotrotz handelt es sich primär um einen westlichen Blick auf das Japan jener Zeit, der viel von Inszenierung und einem fast unwirklichen Idyll geprägt ist. Das haben die Ersteller der Fotografien jedoch auch nie zu kaschieren versucht und präsentieren in dem Sinne ein Wunschbild, welches noch so weit in der Realität verankert ist, dass es dem Fernweh keinen Abbruch tut. So kann man sich Seite für Seite auf eine Reise von Nagasaki, über die Insel Miyajima, bis hin nach Tokio und Hokkaidō machen und dabei unterwegs noch viel mehr entdecken.

In diesem Sinne ist Japan 1900 die optimale Anschaffung für all jene, die regelmäßig Fernweh haben, sich für Vintage-Fotografie in edler Aufmachung begeistern können und alle, die gerne einen vermeintlich direkten Blick auf die Vergangenheit werfen wollen.

Japan 1900
Verlag: TASCHEN 
Mehrsprachige Ausgabe: Englisch, Deutsch, Französisch 
Autoren: Sebastian Dobson, Sabine Arqué
Format: Hardcover, 29 x 39,5 cm, 5,80 kg
Seitenzahl: 536 
Preis: 150 EUR 

[Rezension] Colonel Weird – Cosmagog (Splitter)

Wenn es eine aktuelle Comicbuchreihe gibt, die sowohl Witz und Ernst als auch Hommage und Originalität zu vereinen weiß, dann wäre es defintiv Black Hammer vom kanadischen Tausendsassa Jeff Lemire. Jeder Band der Hauptreihe und der inzwischen zahlreichen Spin-Offs ist für sich eine emotionale Achterbahnfahrt, die insbesondere im Kontrast zu den bewusst kitschigen Namen und Looks im Herzen zu treffen weiß. Jedem Charakter wurde von vornherein eine unfassbare Tiefe mitgegeben, die erklärt, warum man ihnen auch individuell veröffentliche Abenteuer mit unterschiedlichen Zeichnern geschenkt hat. Eine der aktuellsten Auskopplungen ist hierbei „Colonel Weird – Cosmagog„.

© Splitter

Nach den einschneidenden Ereignissen der Hauptreihe hat Colonel Randall Weird die sonderbare Farm verlassen und begibt sich auf die Suche nach etwas, was er vergessen hat. Dabei weiß er weder was es sein könnte, noch ob es von Relevanz ist. Ihm ist nur bewusst: Es ist für IHN wichtig. Zeitgleich könnte es die Antwort auf alle Fragen sein, die sich der durch Raum und Zeit Springende zuhauf stellt. Bei seiner Reise bewegt er sich über die Jahrzehnte seines Lebens hinweg. Mal in einer unnatürlichen Reihenfolge, mal aus einem seltsamen Blickwinkel, mal sogar im Gespräch mit sich selbst in jungen Jahren – in jedem Fall versucht er dabei bei Verstand zu bleiben (oder was davon übrig ist), damit er all jene die er liebt vor einem zersplitterten Universum bewahren kann.

Offensichtlich stand dabei Dr. Manhatten aus der Watchmen-Reihe Pate für die Fähigkeit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichzeitig wahrnehmen zu können (abzüglich der Superkräfte). Im Kontext von Black Hammer scheint es zunächst nicht verwunderlich, da die meisten Charaktere entweder konkrete Anleihen an bekannte Figuren oder zumindest Epochen in der Comic-Kunst in sich tragen. Was Lemire jedoch schafft, ist dieser Hommage eine emotionale Tiefe beizufügen, die selbst mehrschichtigen Original-Charakteren anderer Verlagshäuser nicht in dem Ausmaß vergönnt ist. Colonel Weird steht geradzu prototypisch für diese Art Geschichten zu schreiben. So nimmt er wie erwähnt alles wahr, ist jedoch emotional nicht entrückt, sondern durch sein Wissen um alles und jeden gerdazu gebrochen, da er daran verzweifelt einen Unterschied zu machen. Dadurch wirkt er eher wie ein Mensch, der seine Gabe als Bürde empfindet und nicht wie ein allwissender Halbgott.

© Splitter

Bei einem Comic kann eine Geschichte noch so emotional sein, aber ohne den passenden Künstler kann die Reise in das Herz der Leser schnell verpuffen. Daher bin ich umso glücklicher zu sehen, dass Jeff Lemires Wahl bei diesem Spin-Off auf Tyler Crook fiel. Der Künstler schafft es mit seinem meisterhaften Umgang mit der Mimik der Charaktere und dem fließenden Spiel bezüglich des Panel-Aufbaus etwas zu transportieren, wofür oft nichtmal Worte nötig sind: Freude, Schmerz, Liebe oder Angst. In Kombination mit den kurzen aber genialen Dialogen entfalten die Bilder dann noch mehr Tiefe und führen gemeinsam zu dem Ergebnis der Anfangs genannten Achterbahnfahrt der Emotionen.

© Splitter

In diesem Sinne schließt „Colonel Weird – Cosmagog“ qualitativ nahtlos an die bisher erschienen Veröffentlichungen aus dem Black Hammer-Universum an und beweist erneut, dass Tiefe auch im ungewöhnlichen Gewand an die Leser herangetragen werden kann. Sowohl die Hauptreihe, als auch die Nebengeschichten gehören nach wie vor in jedes gut sortierte Comic-Regal.

Colonel Weird: Cosmagog
Verlag: Splitter 
Künstler: Tyler Crook
Autor: Jeff Lemire
Format: Hardcover
Seitenzahl: 112 
Preis: 19,80 EUR