Timo Wuerz beglückt mein Sketchbuch

Wie einige von euch durch meine letzten Beiträge mitbekommen haben, war ich mit dem Team vom Comicfestival München beim Comic-Salon Erlangen um für die größte Comic-Veranstaltung im nächsten Jahr zu werben.

Dabei habe ich natürlich die Chance genutzt und mir bei so manchem Künstler etwas in mein Sketchbuch malen oder zeichnen lassen. Dazu gehörte auch Timo Wuerz, dessen neuestes Werk „Ghost Realm“ vor kurzem hier besprochen wurde.

Als ich endlich an der Reihe war, wurde Timo von einer mir zunächst nicht näher bekannten Person bei der Arbeit gefilmt. Ein paar Minuten später wurde ich von eben jenem Mann angesprochen, ob ich denn mein Bild kurz in die Kamera halten kann. Gesagt, getan. Dabei sind wir ins Gespräch gekommen und siehe da – es handelte sich um Emu, den Betreiber von bizzaroworldcomics.de! Ich habe mich zwar schon öfter auf seiner Plattform rumgetrieben und bin bei der Suche nach neuem Lesestoff mehrfach über die Seite gestolpert, habe ihnaber nicht gleich erkannt. Schaut doch mal auf seiner Seite vorbei und lasst einen Gruß von mir da! 😉

Auf jeden Fall ist das an dem besagten Tag entstandene Video endlich auf dem frisch gelaunchten YouTube-Kanal von bizzaroworldcomics.de zu finden! Hier könnt ihr euch nicht nur einen Eindruck von Timo Wuerzs unglaublichem Talent, sondern vom gesamten Festival gewinnen. Viel Spaß beim gucken!

Ghost Realm

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Als ich vor ein paar Jahren das erste mal auf dem Comicfestival München war, fiel mir ein Künstler ganz besonders auf: Timo Wuerz. Das erste, was einem ins Gesicht springt ist seine extrovertierte Optik samt flächendeckenden Tattoos, Iro und punkigem Outfit. Als er dann an seinem Platz anfing in unglaublicher Geschwindigkeit mit seinem Pinsel kleine Meisterwerke aufs Papier zu bringen, war es nur eine Frage der Zeit, bis sich jeder ein Bild nach Hause mitnehmen wollte. Es schien als ob sein Pinsel von alleine hin und her tänzelt und dabei aus zunächst undefinierbaren Farbklecksen Figuren entstehen, die in der gegebenen Zeit nicht plastischer sein könnten. Im Großen und Ganzen also ein Ausnahmetalent, welches sowohl als Person als auch Künstler positiv auffällt.

Was mich jedoch gewundert hat, war die komplette Abwesenheit seiner Werke. Üblicherweise werden Zeichner von den zuständigen Verlagen mit einem Katalog oder Neuerscheinungen unterstützt bzw. der Verkauf durch die Anwesenheit des Gastes angekurbelt. Hier saß nun jemand, um dessen „Sketche“ sich die Menschen rissen, aber nichts mit nach hause nehmen konnten, um seine Arbeit als Produkt ins Regal stellen zu können.

Später fand ich heraus, warum das der Fall war. Timo ist eine Legende, die schon mit 14 die erste Ausstellung hatte und nur wenige Jahre später den ersten Comic veröffentlichte. Es folgten weitere Projekte in dieser Sparte, bis er sich plötzlich komplett aus diesem Bereich zurück zog und anderweitig kreativ austobte. Dabei scheint er keine Grenzen zu kennen, wenn man sich sein erstaunliches Portfolio ansieht: Briefmarken, Freizeitpark-Entwürfe, Lack-Designs für Sportwägen, CD-Cover für Bands (Rock und Metal sind seine Steckenpferde und damit noch ein Sympathie-Punkt), Logos, Cover usw. Man könnte diese Liste praktisch bis ins unendliche weiter führen.

Nun meldet er sich endlich mit einem Comic in Form von „Ghost Realm“ in der Szene zurück und der hat es in sich. Zunächst zur Story von Robert Franke: Die Hauptcharaktere Elvira und Sam sind beide jugendliche Underdogs, die konstant mit Problemen in ihrem privaten Umfeld zu kämpfen haben. Elvira muss sich mit ihrer alkoholkranken Mutter auseinandersetzen, die den Tod ihres Mannes nicht verarbeiten kann und Sam steht unter dem Erwartungsdruck seines akademisch in höchsten Sphären schwebenden Vaters. Eines Abends müssen die beiden vor einer Gruppe Schläger fliehen, die die beiden scheinbar schon länger auf dem Kieker haben. Dabei geraten sie per Zufall in den mysteriösen Laden eines Doktor Wang, in dem verstörende Dinge vor sich gehen, die sowohl die Rowdys als auch die Haupt-Protagonisten an ihren Sinnen zweifeln lassen. Ab hier gerät das Leben der beiden völlig außer Kontrolle, als sie sich unabhängig voneinander in einer seltsamen Welt, dem titelgebenden „Ghost Realm“, wiederfinden. Dieser wird von Wesen aus den wildesten Fantasien bevölkert. Von Fabelwesen, über Voodoo bis Science-Fiction scheint hier alles aus jeder Ecke des Surrealen vertreten zu sein um Elviras und Sams Welt gänzlich auf den Kopf zu stellen…

Illustriert wird das Geschehen wie schon erwähnt von Timo Wuerz, der die Grenzen des Mediums Comic durchgehend sprengt. Klassische Panels? Fehlanzeige! Nur selten müssen sie mit Linien typisch getrennt werden. Hier werden Umgebung, Gegenstände oder einfach nur Bewegung genutzt um eine Struktur zu schaffen. Größtenteils starrt man jedoch ehrfürchtig auf Seiten füllende Layouts, die vor Details nahezu überlaufen. Dieser Stil erinnert mich persönlich sehr an die Arbeiten von Dave McKean, wobei hier auf Fotografien und Collagen mit Gegenständen verzichtet wird und der gemalte Strich im Vordergrund steht. Die Darstellung der Figuren lässt mich hingegen an Lee Bermejo denken, der ebenfalls viel und schnell mit großen Farbflächen arbeitet und die Charaktere sehr realistisch rüberbringt. Wenn man es genau nimmt, kann man kaum in Worte fassen,   wie großartig und vor allem einfallsreich jede einzelne Seite umgesetzt wurde. Natürlich wird der Künstler selbst eine ganz eigene Meinung zu seinem Schaffen haben. Als außenstehender Betrachter gibt es aber rein gar nichts zu bemängeln. Der einzige Grund die Illustrationen schlecht zu finden, wäre ein abweichender Geschmack.

Eine ähnliche Meinung scheint übrigens auch Popcom zu vertreten, die nach Timos Comeback eine Werksausgabe veröffentlichen wollen. Zunächst darf man sich freuen, dass es eine zweite Ausgabe von „Ghost Realm“ geben wird. Um sich bis dahin an weiteren Bänden zu erfreuen, kommt zum Beispiel im Juni “Aaron und Baruch”. Hier geht es um den Waffenhändler Aaron, der von ständigen Albträumen gequält wird und den Serienkiller Baruch, der Vergnügen am Töten gefunden hat. Ich lege mir nach dem persönlichen Einstand mit dem hier besprochenen Band mit Sicherheit alle seine Bücher zu und freu mich schon auf das nächste Mal, wenn ich mich erneut an den fantastischen Bildern laben kann.

Wer sich ein eigenes Bild von den von mir beschriebenen Bildern uns Szenen machen möchte, hat bei dieser Leseprobe die Möglichkeit dazu.

Hieronymus Bosch. Das vollständige Werk

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Selbst diejenigen, die sich mit Malerei nur am Rande beschäftigen oder deren Wissen
um berühmte Werke sich auf die Mona Lisa beschränkt, haben sicherlich mindestens eines der Werke des Hieronymus Bosch (* um 1450; † August 1516), bürgerlich Jheronimus van Aken, zu Gesicht bekommen, es unterbewusst als (vermeintlichen) Surrealismus eingeordnet und sich über die vielen teils schockierenden Elemente gewundert.

Einige handelten den aus ’s-Hertogenbosch (daher sein Künstlername) in den Niederlanden stammenden Künstler aufgrund der durch ihn dargestellten Höllenvisionen als Ketzer oder schlimmeres. Nun weiß man aber seit geraumer Zeit, dass er Teil der lokal ansäßigen Liebfrauenbruderschaft war, die einen elitären und vor allem religiös geprägten Kreis an einflussreichen Männern bildete. Dort hätte er nur beim Hauch der Blasphemie keinen Einlass gefunden und die darauf einsetzenden Karrieresprünge, dank der in dieser Gemeinschaft gut gepflegten Kontakte, wären ausgeblieben. So dienten seine bizarren Darstellungen vor allem als moralischer Wegweiser, der die Quallen aufzeigt, die einen Sünder zu erwarten hätten. In diesem Zusammenhang erlangte er auch über Landesgrenzen hinweg schon während seiner Lebenszeit Berühmtheit und fertigte dadurch auch Auftragsarbeiten für sie städtische Oberschicht, den nationalen sowie internationalen Adel an.

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Der Garten der Lüste, um 1503; Mitteltafel: Die Menschheit vor der Sintflut

Aus seiner Schaffenszeit sind der Nachwelt aber nur wenige Bilder bekannt, die allesamt auf Holztafeln verewigt wurden, obwohl während der frühen Renaissance textile Bildträger schon vorhanden waren. Dieses kleine Erbe gibt aber glücklicherweise einen Überblick von den Anfängen in Form klassisch sakraler Darstellungen, die jedoch schon die ersten auffälligen Elemente aufwiesen, über den Höhepunkt seiner Schaffenszeit durch die berühmten Triptychen „Der Heuwagen“, „Der Garten der Lüste“ oder „Die Versuchung des heiligen Antonius“ bis hin zu seinem Spätwerk sowie Zeichnungen bzw. Entwürfen. Das besondere an all den vorhandenen Motiven, außer der übergreifenden Groteske, sind die schier unendlichen Verweise auf folkloristische Elemente in Form von Sprichwörtern, damals gegenwärtigen Vorstellungen von Himmel und Hölle und Hinweise auf Bibelstellen, die Bosch als sattelfester Kenner des Buches auch in die abwegigsten Szenen hinein malen konnte. All das wird durch visuell aufbereitete Metaphern wie fliegende Fische, nackte Leiber, monströse und bisweilen witzige Fantasiegebilde dargestellt und diente dabei nicht nur als Mittel zum Zweck, sondern zusätzlich der persönlichen Freude des Künstlers, wie man an den überlieferten Entwürfen erkennen kann. Viele dieser Ideen zog er aus der zeitgenössischen Literatur und eröffnete damit gänzlich neue Ansätze für die Entfaltung der Fantasie durch die Malerei.

Welch immensen Einfluss er auf die Nachwelt hatte und was für revolutionäre Ansätze in seinem Handwerk zu entdecken sind, sieht man an allerlei Zitaten durch Zeitzeugen, die wie die Nachwelt kaum Möglichkeiten hatten das Gesamtwerk von Bosch wirklich zu deuten. Diese damit verbundene Ehrfurcht blieb offensichtlich auch nach seinem Tod bestehen. So eröffnete er eine Werkstatt, die aufgrund seines inzwischen zu stattlicher Größe angewachsenen Vermögens mit Mitarbeitern besetzt werden konnte. Diese unterschrieben zum Teil post mortem mit dem legendären Namen. In diesem Zusammenhang gilt Bosch ebenfalls als Vorreiter, da er einer der ersten Künstler war, der seine eigenen Werke signierte und damit das Motiv ohne Zweifel mit dem Erschaffer verknüpfte.

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Die Versuchung der heiligen Antonius, um 1502

Nun können Interessenten seine kurze aber interessante Biografie, sämtliche ihm zweifellos zugewiesenen Werke, die Produktionen seiner Werkstatt und alle entdeckten Zeichnungen in TASCHENs „Hieronymus Bosch. Das vollständige Werk“ selbst erkunden. Neben den vom Bosch-Experten Stefan Fischer verfassten informativen Texten zu jedem Lebensabschnitt des Visionärs, findet man viele vergrößerte Ausschnitte, aus den vor Details überquellenden Bildern, die man in der Form sonst niemals zu Gesicht bekommen würde. Kleinste Szenen wirken dabei, bevor man das Gesamtkonstrukt aufschlägt, schon für sich alleine beeindruckend und entfalten bei der Gegenüberstellung zum ganzen Bild eine einzigartige Faszination. Genuagenommen wirkt alles bei der chronologischen Aufarbeitung von Boschs Lebenswerk in sich schlüssig und angenehm konstruiert. Nachdem man den Hauptteil des Buches genoßen hat, gibt es im Anhang zusätzlich die Möglichkeit alle Werke nochmals komprimiert in einer kleiner Fassung zu betrachten und einen kurze Text, der diese einordnet um das gelesene nochmals Revue passieren zu lassen.

Ursprünglich erschien auch dieses Buch in einem für den Verlag typischen XL-Format, welches sich für Malerei dieser Größenordnung geradezu anbietet aber natürlich in einer entsprechenden Preisklasse zu verorten ist. Zum 500. Geburtstag des Künstlers gibt es nun auch für Fans oder die, die es noch werden wollen eine kleinere aber ebenfalls wunderschön gebundene Ausgabe, die inhaltlich dem großen Bruder in nichts nachsteht, aber der breiten Masse auch auf finanzieller Ebene den Zugang zu Hieronymus Bosch gewährt. Hier stimmen wieder sowohl Quantität als auch Qualität, die mich immer wieder gerne rein blättern lassen um neue Sachen zu entdecken. Das ist eine Anschaffung, die man auch nach einiger Zeit gerne erneut hervor holt.

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Der Garten der Lüste, um 1503; Rechter Innenflügel: Die Hölle

Für diejenigen unter euch, die entweder in der Nähe der niederländischen Grenze wohnen, in Spanien ansäßig sind oder sich ohnehin gerne in der Weltgeschichte treiben lassen, gibt es dieses Jahr zwei Ausstellungen, wovon die aktuell durchgeführte vermutlich die beste ist. Sie findet in Boschs Heimatstadt statt und vereint, die zuvor auf verschiedenen Museen verteilten Teile seiner Triptychen. Ein Trip, der sich durchaus lohnt. Hier wären die Details:

 

13. Februar 2016 – 08. Mai 2016

Bosch

Het Noordbrabants Museum, ’s-Hertogenbosch, Niederlande

 

31. Mai 2016 – 11. September 2016

Bosch. The Centenary Exhibition

Museo Nacional del Prado, Madrid, Spanien

 

https://www.youtube.com/watch?v=vFiB5ev7U1o