Lula & Yankee, Band 01: Frühstücksbier & Mixtape

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Langsam aber sicher nimmt die Gesamtausgabe des Ausnahmekünstlers Timo Wuerz auch im Schrank Gestalt an. Nachdem die Reihe in umgekehrter Reihenfolge mit dem neuesten Werk „Ghost Realm“ eröffnet wurde, schloss sich nicht lange danach der Erstling des Zeichners um die abstrakte Killer-Geschichte „Aaron und Baruch“ an. Schon hier konnte man feststellten, dass sein Stil extrem wandelbar, aber konstant im Bereich der Malerei zu verorten ist. Wie der hier zu besprechende Band jedoch zeigt, kann er auch ganz anders an seine Arbeit herangehen.

Bei POPCOM ist nämlich eine der wohl ungewöhnlichsten Veröffentlichungen erschienen, die man so auf den ersten Blick kaum dem eben erwähnten Künstler zuordnen könnte. Und doch handelt es sich sogar um das selbe Team, welches „Aaron und Baruch“ heraus brachte und mit Asp Spreng (Ja, der Sänger der gleichnamigen Band!) um einen weiteren Autoren erweitert wurde.

Zunächst aber mal zur Story und dem Hintergrund der Geschichte. „Lula & Yankee“ erschien ursprünglich Mitte der 90er Jahre und behandelt den Alltag der in einer Rock-Band spielenden Lula und ihres Freundes Yankee. Die beiden führen eine glückliche Beziehung, die natürlich nicht arm an kleineren und größeren Eskapaden ist. Das Ganze reicht dabei von sinnieren über das gemeinsame Leben, Besuche bei den Schwiegereltern, Partys mit den gemeinsamen Freunden, bis hin zu einem Ausflug nach Paris. Die hierbei auftretenden Schwierigkeiten meistern die beiden mit eher ungewöhnlichen und bisweilen urkomischen Methoden, die aber (gefühlsmäßig) so nah an der Realität sind, dass man immer wieder wissend in sich hinein schmunzeln muss. Ob die auf jeweils wenigen Seiten dargestellten Ereignisse einen wahren Kern haben, kann ich natürlich nicht beantworten, aber wenn man selber schon einige Beziehungen hinter sich gebracht hat (oder in einer steckt), sollte einem so einiges vertraut vorkommen. Trotzdem schaffen es die beiden Autoren in ihren Storys den Kitsch außen vor zu lassen und damit die Geschehnisse selbst in den absurdesten Situationen greifbar zu machen. Das wirkt sehr sympathisch und nutzt sich glücklicherweise auch nicht ab. Vor allem die immer wieder textlich eingestreuten Passagen aus Rock-Songs der 80er und 90er Jahre geben dem Ganzen eine schöne Note, wenn sich der Soundtrack beim lesen im Kopf abspielt.

Um dieser Sammlung des täglich Wahnsinns unter Liebenden einen Rahmen zu verpassen, haben sich Asp und Timo erneut zusammen getan um einen Prolog  zu spinnen, der alles was diesem folgt als wortwörtlich schöne Erinnerung darstellt. Eine nette Idee, die nicht nur kurz abgehandelt wird, sondern mit Liebe zum Detail an den Leser herangeführt wird. Ein Kniff, der mich schon zur visuellen Aufmachung des Buches führt, verdeutlicht zudem den zeitlichen Abstand zwischen Neuveröffentlichung und Original. Der neue Handlungsstrang spielt in der Gegenwart, ist komplett in Farbe gehalten und leitet als Übergang in die schwarz-weiße Welt der ursprünglichen Geschichten ein.

Und hier kommen wir schon zu dem Punkt, der wohl jeden erstaunen sollte, der Timo bei der Arbeit auf Comic-Veranstaltungen oder zum Beispiel seine fertigen Produkte in Form von CD-Covern gesehen hat. „Lula & Yankee“ ist nur gezeichnet/getuscht und verzichtet wie eben angedeutet auf Farben und die Darstellung der Figuren ist beinahe cartoonesk. Wer die teils extrem realistischen Charaktere in „Ghost Realm“ bewundern konnte, wird von der erstaunlichen Bandbreite überrascht sein. Trotz des ungewohnten Anblicks, passt dieser bodenständige Stil ungemein gut zur Handlung der kleinen Geschichten und verleiht dem Ganzen einen Hauch von Underground und damit einen Charme, der diesem Band ein Alleinstellungsmerkmal verpasst.

Ich für meinen Teil habe mich sehr gut unterhalten gefühlt und freue mich schon auf die Fortsetzung, die ebenfalls für diese Reihe angekündigt wurde!

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Aaron und Baruch

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Da ich mich gerade mitten in den Prüfungsvorbereitungen befinde, verteilen sich meine Beiträge in den letzten Wochen eher sporadisch über die schnell dahinziehenden Tage.

So ist es auf auf dem Zeitstrahl meiner Reviews gar nicht so lange her, als ich über „Ghost Realm“ von Timo Wuerz berichten durfte, der gemeinhin sowohl vom Auftreten als auch von der Optik her (sowohl vom Werk als auch der Person) als Rockstar der deutschen Szene gilt. Das besondere an diesem Band ist, dass es die erste Veröffentlichung nach vielen Jahren der Abstinenz in Bezug auf die uns lieb gewordenen bunten Heftchen ist und zeitgleich der ausschlaggebende Punkt für den POPCOM-Verlag eine Werkausgabe des Künstlers auf den Markt zu bringen.

Um Timos kreative Entwicklung chronologisch nachvollziehen zu können, beginnt das Ganze mit dem 1993 erschienenen „Aaron und Baruch„, welches mit Niki Kopp als Autor umgesetzt wurde. Man merkt, dass sich die Zeiten gehörig ändern, wenn man sich die Geburtsdaten der Macher zur damaligen Zeit ansieht. So machten sich Niki mit 20 und Timo mit zarten 17 Jahren ans Werk und zauberten eine Geschichte hervor, die in der Form vermutlich selbst von alteingesessenen Veteranen mit Schwierigkeiten umgesetzt worden wäre. Vielleicht ist das Alter aber auch genau die Variable, die diesen Band so ungestüm aggressiv, erotisch und zeitgleich intelligent erscheinen lässt. Die Gefühle der Jugend waren schon immer zeitlos und genau das könnte der Grund dafür sein, dass „Aaron und Baruch“ immer noch frisch wirkt, obwohl der erste Release schon geschlagene 23 Lenze  zurück liegt.

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©Timo Wuerz

Aber eins nach dem anderen. Damit ihr diese Einschätzung besser verstehen könnt, setze ich erstmal bei der Geschichte an. Gleich zu Anfang werden uns Aaron, der seinen Lebensunterhalt als Waffenhändler bestreitet und Baruch, dessen Geschäft ebenfalls der Tod ist, aber in Bezug auf sein Profil als Auftragskiller eher der illegalen Schienen zuzuordnen ist, vorgestellt. Durch seltsame Umstände scheinen sich die Wege der beiden immer wieder zu kreuzen, während Aarons Frau ein Scharnier zwischen beiden Welten zu bekleiden scheint…

Technisch wird uns von der Erzählweise wie zu erwarten kein Popcorn vorgesetzt, sondern ein Patchwork aus Szenen, Dialogen und Textfetzen, die trotzdem gekonnt in eine logische Reihenfolge gesetzt werden. Hier wird durchaus eine gewisse Konzentration des Lesers vorausgesetzt, der dem Ablauf fokussiert folgt und das Gebotene nicht nur als Snack-Lektüre konsumiert. Innere Monologe, die erst Stück für Stück ihren Sinn preisgeben und Tauchgänge in die chaotische Psyche der Hauptprotagonisten heben das Geschehen auf eine durchgängig anspruchsvolle Ebene, während man durch viel nackte Haut und Gewaltdarstellungen gut unterhalten wird. So halten sich Pop und Art-House in der Waage, ohne zu sehr in die verkopfte oder stumpfe Ecke abzurutschen. Ich denke als Teenager oder junger Mensch, der sich an dieses Medium heranwagt und nicht von vornherein in die Unterhaltungs-Schublade gesteckt werden möchte, ist so eine Umsetzung mehr als nachvollziehbar. Das erstaunliche ist, dass es funktioniert, ohne zu viel künstlichen Pathos reinpumpen zu müssen.

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©Timo Wuerz

Nun zur visuellen Umsetzung, die ja unter dem Motto des Gesamtwerks des Künstlers den wichtigeren Part darstellt. Da ich nun sowohl die frischeste als auch älteste Arbeit mein Eigen nennen kann, ist ein direkter Vergleich angebracht. Man merkt natürlich, dass 23 Jahre an Erfahrung nicht spurlos an einem Kreativen vorbei gehen und eine Entwicklung zwangsläufig stattfinden muss. Das diese jedoch ihren Ausgangspunkt auf einem so hohen Niveau hat, darf als ungewöhnlich gelten. Zwar haben aktuelle Bilder in Bezug auf Gestik, Mimik und Raum mehr Dynamik, Details und gewagtere Perspektiven, die Qualität dieser Punkte war aber auch Anfangs der 90er schon vorhanden. Experimentelle Brüche der Panels, interessante Farbenspiele und die attraktive Darstellung der Figuren gehörten schon damals zum Standardrepertoire. Zu der Selbstkontrolle eines talentierten Malers kommt die gehörige Wut eines gerade so dem Teenager-Alter entwachsenen Menschen, die man oft im rohen Strich herauslesen kann. Ob dies nun gewollt oder intuitiv zustande kam sei dahingestellt. Das Ergebnis spricht für sich. Ich müsste lügen, wenn nicht ein klein wenig Neid in Bezug auf das fertige Produkt mit einfließen würde. Neun(!) Jahre jünger als ich es aktuell bin und schon einen Grundstein für eine steile Karriere gelegt, die weit über Comics hinausgeht und schlußendlich wieder dort landet. Kein Wunder, dass in den letzten Jahren die Schlangen auf Conventions für einen Sketch (was für ein Wort für das was auf dem Papier landet) nicht kleiner wurden, obwohl nichts neues (zumindest in Bezug auf Comics) aus der Feder des Meisters kam.

Neben der großartigen Geschichte, findet sich im hinteren Abschnitt des Bandes ein üppiger Bonus-Teil, der mit ersten Skript-Entwürfen und Test-Seiten aufwartet, kurze Storys, die in keinem Zusammenhang mit „Aaron und Baruch“ stehen und ein sehr unterhaltsames Interview mit den Machern, samt damaligen Wegbegleitern aus der Comic-Szene. Eine wirklich schöne Ergänzung, die dem Leser einen Einblick in die Entstehungsgeschichte der Ausgabe bietet und zeitgleich zum tieferen Verständnis der Handlung beiträgt.

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©Timo Wuerz

Als Fazit kann ich ziehen, dass man hier eine immer noch aktuelle Geschichte geboten bekommt, die sowohl die grauen Zellen anstrengt, als auch den Durst nach Gewalt und Erotik stillt. Eine Kombination, mit der man auch nach mehreren Dekaden punkten kann, ohne dass es altbacken oder ausgelutscht wirkt. Ein perfekter Einstieg in die Welt von Timo Wuerz, der Lust auf mehr macht. Glücklicherweise ist das erst der Anfang und wir dürfen uns auf weitere Neuauflagen freuen, die teilweise ebenfalls mit dem Autor Niki Kopp realisiert wurden.

Wenn ihr aus unerfindlichen Gründen noch nicht überzeugt sein solltet, geht es hier zur Leseprobe!